The Lost Generation Episode 3



Tonya stürmte den Flur hinunter, während Senzen ihr hinterherspazierte. Die Angestellten von Shubin gingen ihr aus dem Weg. Einige Minuten zuvor hatte Arlington die beiden an einen seiner Assistenten verwiesen, der ihnen die Spesenkonten und das Kommunikationsprotokoll erklärte. Doch sie hatte kaum zugehört, da sie noch immer wegen des Stunts schäumte, den Senzen sich geleistet hatte.

„Also wo möchtest du mit der Suche beginnen?“ Senzen grinste; er wusste, dass er in ein Hornissennest trat. Es funktionierte. Tonya baute sich vor ihm auf auf.

„Wie zum Henker hast du ihm diesen Mist verkauft?“ Sie stieß ihn zurück. “Du konntest nicht wissen, was ich herausgefunden hatte.“ Stoß Nummer zwei.

„Für jemanden, der so von Zivilisationen fasziniert ist, solltest du wirklich mehr über Menschen lernen.“

„Raus damit“, verlangte sie und stieß ihn ein weiteres Mal. Senzen seufzte.

“Arlington ist wahrscheinlich der einzige Mensch im Universum, der sich nicht im Geringsten für die Artemis interessiert.“ Ein Assistent trat an Senzen heran und brachte ihm eine Tasse Kaffee. „Ah, wunderbar, danke“, lächelte er den Assistenten an und wandte sich wieder Tonya zu. „Ich hatte ihm nur gesagt, dass wir zusammen an der Analyse des Fragmentes gearbeitet und möglicherweise etwas Unglaubliches gefunden haben. Ich wolle deiner Analyse nicht vorgreifen, daher war ich schnell zu ihm gerannt, um ein kurzfristiges Meeting zu vereinbaren. Seine Vorstellungskraft – oder welches Programm in seinem Kopf auch immer diese Funktion übernimmt – tat den Rest.“

Tonya starrte ihn zornig an. Senzen nippte an seinem Kaffee und wartete.

„Halt dich von mir fern!“

“Das ist alles?” Senzen schüttelte enttäuscht seinen Kopf. „Komm schon Tonya, du warst auch schon mal geistreicher.“

„Wie wäre es damit: Du hast keine Chance gegen mich und das weißt du auch.“ Sie drehte sich um und ging.

„Du magst besser sein“, rief Senzen, „aber vielleicht werde ich dich ja überraschen.“

Bis Tonya wieder in ihr Schiff gestiegen war, hatte ihr Verstand die Gefahr, die Senzen Turov darstellte, bereits beiseitegeschoben. Er war ein schlauer Entdecker, sicher. Doch Tonya wusste, dass seine Stärke eher in der Soziologie als in der Geschichtswissenschaft lag. Damals, während ihrer dem Untergang geweihten Partnerschaft, konnte er Informationen selbst aus den unwahrscheinlichsten Quellen herausbekommen. Doch hier ging es um die Artemis. Es gab niemandem, mit dem er reden konnte, keinen Spitzel, der ihn mit Informationen versorgte. Es war alles in der Geschichte vergraben, und die war Tonyas Spezialität.

Sie ließ die Triebwerke anlaufen, als ein Gedanke – ein einzelner paranoider Gedanke – sie ergriff. Vielleicht hatte Senzen recht und sie sollte sich wirklich mehr mit Menschen beschäftigen. Angefangen mit der Möglichkeit, dass er ihr eine Wanze untergejubelt haben könnte. Sie scannte das gesamte Schiff nach ausgehenden Signalen. Während der Scan lief, entpackte sie ihre neue Dekontaminations/Scan-Kammer und gab ihr die gleiche Aufgabe.

Tonya stieg hinein. Die Sensoren umkreisten sie. Es schien, als sei alles in Ordnung … ping.

„Verdammter Hurenso –“ Sie trat heraus und schaute auf den Bildschirm. Und tatsächlich, ein Transmitter, nicht größer als ein Kieselstein, war unter ihrem Kragen versteckt. Sie warf ihn in die Verbrennungsanlage.

Der schiffsweite Scan war ebenfalls abgeschlossen. Keine nicht autorisierten Modifikationen oder Signale waren entdeckt worden.

„Netter Versuch, Senzen“, murmelte Tonya, während sie abhob. Eine Wand von dunklen Wolken bewegte sich ihr vom Horizont her langsam entgegen. Tonya sah eine Armee von Shubin-Ingenieuren das Fragment der Artemis zum Transport ins Innere der Einrichtung vorbereiten, bevor der Sturm losbrach. Sie flog durch die Wolken und ließ den Planeten hinter sich.

Tonya setze Kurs auf den nahegelegensten Sprungpunkt. Sie wollte allein sein. Sie hatte ein neues Puzzle und musste sich nun ansehen, welche Teile ihr helfen konnten, also je weniger Ablenkung desto besser.

Tonya flog durch den Sprungpunkt in das Chronos-System. Die unfertige Masse der Synthworld war gegen die entfernte Sonne kaum zu erkennen. Zwar führte das Militär der UEE in der Nähe Übungen durch, doch war Tonya trotzdem in der Lage, einen ruhigen Ort zu finden. Sie aktivierte den Autopiloten und stieg vom Cockpit in das Heck hinab.

Sie holte all ihre Materialen hervor und sortierte sie auf dem Wanddisplay.

Aber eins nach dem anderen. Sie beauftragte ein Programm, aus ihren Bildern ein 3D-Modell zu erstellen. Dann wandte sich sie der Sternenkarte zu. Das ursprüngliche Ziel der Artemis war GJ 667Cc; zu dieser Zeit glaubte man, es handele sich um einen bewohnbaren Planeten mit der Klassifizierung „Super-Erde“. Das Fragment der Artemis wurde im Stanton-System gefunden, weit entfernt von der korrekten Flugbahn zum Gliese-Sternencluster.

Was war also geschehen? Warum war das Schiff vom Kurs abgekommen? An ihrer Hypothese festhaltend, das Schiff sei gelandet, um Reparaturen durchzuführen, fragte sie sich, ob Janus zu seinem ursprünglichen Ziel weiterfliegen würde, nachdem das Schiff wieder gestartet war.

Tonya blätterte durch die Bücher und Artikel. Sofort entschied sie sich, alles zu verwerfen, das nicht verifizierbar war. Biographien, Dissertationen und Simulationen waren Spekulation. Obwohl einige sehr helle Köpfe versucht hatten, das Geheimnis der Artemis zu lüften, haben sie am Ende auch nur geraten und Tonya würde neue Beweismittel nicht mit vorgefassten Annahmen einfärben.

Unglücklicherweise schloss diese Herangehensweise 98 Prozent des zur Verfügung stehenden Materials aus. Übrig blieben nur vereinzelte Daten, das gelegentliche Zitat eines Besatzungsmitgliedes, das vor dem Start aufgezeichnet wurde, und Archivdaten von Nachrichtenorganisationen über den Start selbst – dem Moment, an dem Janus die Kontrolle über das Schiff übernahm und dessen Antrieb zündete, um in unbekannten Raum zu reisen.

Vier Stunden vergingen. Tonya starrte die Wand an, mit ihrer aufgeblähten Liste an Fragen und der nicht existierenden Liste an Antworten. Tonya drehte das 3D-Modell der Artemis immer wieder herum, in der Hoffnung, es würde sie irgendeine Inspiration treffen.

Doch diese blieb aus.

Eines kam ihr jedoch in den Sinn. Das Hartley Museum. Tonya erinnerte sich, dass sie vor Jahren einen Artikel über den Versuch des Museum gelesen hatte, die bis zum damaligen Zeitpunkt umfangreichste Artemis-Ausstellung auf die Beine zu stellen, mit „schockierenden neuen Erkenntnissen“ oder ähnlichem Unsinn. Zu diesem Zeitpunkt tat sie es als billige Theatralik ab, um leichtgläubige Besucher anzulocken.

Nun jedoch war die Ausstellung vielleicht einen Blick wert.

Das Hartley Museum verblasste im Vergleich zu den ehrwürdigen Einrichtungen von Londons Museumseile. Seine Fassade bröckelte ­­– und das nicht auf die ehrwürdige Art und Weise. Zerschlissene, wiederverwendete Banner flatterten am Eingang und verkündeten die Ausstellung: „Die Parade der historischen Könige der Erde“.

Tonya erwarb ein Ticket von einem alten mürrischen Mann am Fenster und drückte sich durch das billige Sicherheitsdrehkreuz. Das Museum war leer. Ihre Schritte klangen von den beinahe echten Marmorwänden in die Ferne. Beiläufig betrachtete sie eine Kollektion von Skeletten und Körpern, die aufgemacht waren, um wie historische Ägypter auszusehen. Sie hielt an einem Sarkophag an, der das Skelet eines „Pharaos“ enthielt.

„Guten Tag, meine Dame“, sagte eine helle Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um. Es war derselbe alte Mann vom Eintrittskartenverkauf, nun mit einer anderen Jacke und Brille. „Dies sind die sterblichen Überreste des mächtigen Pharaos Khafra, Erbauer der unsterblichen Sphinx von Gaza.“

„Pharao Khafra?”, entgegnete sie. Sie lehnte sich vor, um einen besseren Blick auf die Überreste zu erhalten.

„Ganz recht, seine Herrschaft in der vierten Dynastie war –“

„Dies war ein Sklave.“

„Wie meinen?“, erwiderte der alte Mann etwas brüskiert.

„Beanspruchungsspuren und Knochennarben um die Knöchel weisen darauf hin, dass er schwere Objekte getragen hat. Er war also wahrscheinlich tatsächlich ein Erbauer der Sphinx, aber eher einer von der steineschleppenden Sorte.“

Der alte Mann starrte sie an, verblüfft und ein bisschen verlegen.

“Ich…”

“Schon okay”, beruhigte sie ihn. “Ich habe ein paar Fragen zur Artemis-Ausstellung, die Sie hier einrichten wollten.“

„Oh, ich wünschte, es wäre dazu gekommen“, sagte er und verlor noch etwas mehr an Statur. „Die Ausstellung sollte unsere Rettung sein. Ich habe unsere letzten Credits in die Sammlung all dieser Memorabilien gesteckt.“

„Sie sind also hier?“

„Die Gläubiger beschlagnahmten alles, um Kreditausfälle zu kompensieren.“ Er ließ sich auf eine Bank sacken. „Sagen Sie mir, wie soll ich denen das Geld zurückzahlen, wenn ich keine neuen Ausstellungsstücke habe, um Besucher anzulocken?“

„Was haben Sie erworben?“

“Es war eine Handvoll von Kapitän Denvers’ persönlichen Logbüchern, Schemata des Schiffes und Filmmaterial von Tests, eine Originalkopie der Janus-KI; ich habe sogar –„

„Moment, ganz langsam.“ Tonya setze sich neben ihn auf die Bank. „Sie haben eine Kopie der KI gefunden?“

„Janus? Ja, und ich kann Ihnen sagen, sie war nicht billig.“

„Wie lautet der Name der Bank?“

Der alte Mann, Melvin Hartley Jr., wie sie herausfinden sollte, sagte ihr den Namen. Tonya ließ Hartley in seinem stillen, leeren Museum zurück, während sie Nachforschungen anstellte.

Die Bankangestellte war hilfreich, aber abweisend. Sie sagte, die Bank würde jedes ersthafte Angebot, die Artefakte zu erwerben, in Betracht ziehen. Dieses müsste jedoch geprüft werden und das könne Wochen dauern.

Unglücklicherweise hatte Tonya diese Zeit nicht zur Verfügung.

Sie würde sie stehlen müssen.

Zur nächsten Episode geht es hier entlang.

Übersetzung:  Malu23   Korrektur:  alreadytaken   Originaltext