The Lost Generation Episode 2



Die Artemis.

Gestartet im Jahr 2232, mit fünftausend in Kältestase versetzten Seelen an Bord, gesteuert durch die künstliche Intelligenz Janus, mit Ziel GJ 667Cc. Es war die erste Expedition der Menschheit zu den Sternen. Kurz nachdem sie unser Sonnensystem verlassen hatten und in unbekannten Raum vorgestoßen waren, brach der Kontakt ab.

So viel hatte sich sein jenem Tag geändert: Sprungpunkte, der erste Kontakt mit außerirdischen Spezies sowie überragende Errungenschaften und Tragödien in fast gleichem Maße. Trotz hunderter Expeditionen, Studien und Simulationen, die im Laufe der Jahrhunderte durchgeführt wurden, fand man von der Artemis nicht die geringste Spur. Viele kamen zu dem Schluss, sie sei abgestützt, in einen Stern geflogen oder in einem Sprungpunkt verlorengegangen. Die Artemis wurde zur Legende.

Bis heute…

Tonya starrte auf ein Stück Geschichte. Hier, umgeben von Lavagestein, lag der Heilige Gral eines jeden Entdeckers – zumindest ein Teil davon. Ihr Geist war kaum in der Lage, mit dem Strom an Gedanken, Hoffnungen und Ideen fertigzuwerden, der in ihr losbrach, sobald sie die Artemis erblickte. Sie schaute um sich.

Alle anderen waren genauso überwältigt wie sie. Senzens Gesicht zuckte, als würde er sich rebooten, um verstehen zu können, was er da vor sich hatte. Der Anblick der Artemis sickerte selbst zu Squigs alkoholgeträntem Gehirn durch.

“Niemals”, war das Einzige, was er herausbringen konnte.

Gavin Arlington gab allen einen Moment, um das Gesehene zu verarbeiten. Schließlich räusperte er sich. Der CEO hatte offensichtlich weitere Verpflichtungen.

„Nun wissen Sie, warum ich Sie hierher gerufen habe.“ Ein Assistent reichte ihm ein MiniGlas, welches er las, während er redete. „Wir haben hier eine delikate Situation –“

„Was ist daran delikat? Sie müssen das öffentlich machen“, unterbrach Deke Johnson. Die Augen von Arlingtons Assistenten weiteten sich, erbost, dass dieser Niemand es wagte, ihren Chef zu unterbrechen.

„Nein, Herr Johnson, genau das werde ich nicht tun“, entgegnete Arlington, ohne ins Stocken zu geraten. „Sollte irgendjemand von Ihnen nicht mit dieser Ansicht übereinstimmen, lassen Sie mich in Bezug auf die Vereinbarung, die Sie gerade unterzeichnet haben, darauf hinweisen, dass, wenn Sie auch nur ein Wort über dies zu irgendjemandem ohne meine ausdrückliche Genehmigung verlieren, Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde auseinandergenommen werden, und zwar rechtlich, beruflich, finanziell, sozial und“ – er blickte zu seinem Anwalt ­– „körperlich?“

Der Anwalt nickte.

“Körperlich”, fuhr Arlinton fort.

“Dies der UEE zu offenbaren, würde diese Welt lahmlegen und Ihren Bergbaubaubetrieb … auseinandernehmen“, klinkte sich Tonya ein.

Arlington blickte zu ihr hinüber und lächelte. Das völlige Fehlen einer Emotion hinter dieser simplen menschlichen Geste ließ ihr einen Schauer den Rücken hinunterlaufen. „Es ergibt keinen Sinn, die Behörden oder die wissenschaftliche Gemeinschaft zu informieren, ohne zu wissen, was wir hier gefunden haben. Und deshalb sind Sie hier. Ich will, dass die Absturzstelle der Artemis gefunden wird. Die Bergbauscanner und das Personal meiner Einrichtung stehen zu Ihrer Verfügung. Wer auch immer den Rest findet, wird an der Anerkennung, die sich aus dieser Entdeckung ergibt, teilhaben sowie ein hübsches Vergütungspaket erhalten.“

Alle sahen einander an und schätzten ihre Konkurrenz ab. Arlington wartete erwartungsvoll.

„Sie können nun beginnen“, sagte er schließlich.

Tonya hechtete zur Beacon II. Sie rannte im Frachtraum ihrer Freelancer hin und her, griff nach Ausgrabungswerkzeugen, Scannern, Kameras, ihren MiniGlas-Büchern … für einen Moment hielt sie inne, um zu verschnaufen. Jede Faser ihres Wesens stand sprichwörtlich im Flammen, angetrieben von der Aussicht, die Person zu sein, die das Schicksal der Artemis aufdeckt. Es war alles so unfassbar. Sie erlaubte sich einen Moment, um diesen Nervenkitzel zu genießen.

Sie eilte zurück zur Ausgrabungsstätte. Als sie dort ankam, erkannte Tonya, dass sie nicht als Einzige durch die bevorstehende Entdeckung erregt war.

Senzen hatte bereits die Bergarbeiter eingeteilt, das Fragment der Artemis auszugraben. Vorsichtig gruben sie sich durch das Lavagestein, um herauszufinden, wie viel von dem uralten Metall noch verborgen war.

Deke Johnson überflog mit seiner Cutlass die Ausgrabungsstätte und wirbelte Massen an losem Gestein auf. Die Unterseite war durch deren Scanner, welche die umliegende Landschaft untersuchten, hell erleuchtet.

Auf einem nahen Abhang sitzend, nahm Squig einen Schluck aus seinem Flachmann, während er einen selbstgebauten Scanner schwang.

Arthur Morrow ging an ihnen vorbei und trug dabei Vermessungswerkzeuge und Tiefenscanner. Er beachtete sie und das Artefakt kaum.

„Nicht daran interessiert, dies zu analysieren, Art?“ Tonya packte ihre Kamera und Werkzeuge aus. Arthur blickte sie an und schnaubte.

„Das Geld liegt nicht da drin. Das Geld liegt irgendwo dort draußen.” Er zeigte auf das Meer aus erstarrter Lava, die sie umgab, und ging seines Weges.

„Einigen Menschen fehlt es an Weitblick“, sagte Senzen mit einem Grinsen zu ihr.

Tonya machte ein paar Bilder vom Fragment der Artemis und fügte sie zu einem Gesamtbild zusammen. Sobald es fertig war, verglich sie es mit einer Datenbank von Artemis-Bildern, um herauszufinden, von welchem Teil des Schiffes es stammen könnte.

Tonya bemerkte, dass Senzen hinter ihr stand.

„Das ist eine gute Idee“, grinste er verschmitzt und fuhr fort, die Arbeiter anzuleiten.

„Jemand sollte Deke sagen, dass er nicht von so Nahem scannen soll. Der Schotter könnte das Metall beschädigen.“ Ihr MiniGlas summte. Basierend auf Schablonierungen und verblassten Markierungen war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich hier um einen Teil der Steuerbordantriebsverkleidung handelte.

Es war hilfreich, aber nicht eindeutig. Das Panel könnte sich während des Absturzes oder im Weltraum gelöst haben.

Im Verlaufe der nächsten Stunden gruben Tonya, Senzen und die Arbeiter das Fragment erfolgreich aus und legten es vorsichtig auf den Boden. Tonya umkreiste das Stück Metall und fotografierte es aus jedem Winkel.

Nun zu sehen in voller Größe, maß das Stück etwa zwei mal vier Meter. Die Kanten waren vom Lavabad zerschmolzen worden. Glücklicherweise war die Hitzeabschirmung in der Lage, das Fragment solange abzuschirmen, bis sich die Lava abgekühlt hatte.

Als sie fertig war, setzte sie sich hin und schaute es sich an.

„Echt unglaublich, nicht wahr?“ Senzen ließ sich neben ihr in den Schotter fallen. Er trank etwas Wasser.

“Ich kann mich daran nicht sattsehen”, erwiderte sie. „Nach all dieser Zeit, könnten wir tatsächlich herausfinden…“

„Ja“, nickte er und reichte ihr das Wasser. Tonya beäugte die Flasche zögernd.

„Immer mit der Ruhe, Tonya. Wir sind Konkurrenten, aber das heißt nicht, dass wir nicht nett zueinander sein können.“

Tonya nahm das Wasser und trank. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie war und trank die ganze Flasche.“

„Nichts zu danken“, sagte Senzen mit einem Lachen.

„Tut mir leid.“                                                                       

„Kein Sorge, es kommt gerade neues an.“ Senzen blickte sich um. Einer von Arlingtons Assistenten eilte mit weiteren Flaschen aus dem Hauptquartier herbei.

“Du hast seine Assistenten bereits dazu gebracht, dir Sachen zu bringen?”

„Ich arbeite schnell“, erwiderte Senzen mit einem Schulterzucken. Er nahm die Flaschen an sich. „Danke.“ Der Assistent machte sich von dannen. Senzen wandte sich zu Tonya. “Wollen wir?”

Sie sahen sich jeden Zentimeter des Artemis-Fragmentes an, von vorne bis hinten. Tonya säuberte es so gut sie konnte und suchte dann nach einem Hinweis, der darauf schließen ließ, was passiert war. Doch da war nichts. Die Kanten waren so stark zerschmolzen, dass es unmöglich war, zu bestimmen, ob das Panel abgerissen worden war oder nicht. Sie führte Tests an Mikroproben des Metalls aus. Eine weitere Sackgasse.

Sie lehnte sich zurück und versuchte sich gedanklich vom Puzzle zu lösen, in der Hoffnung, ein paar Momente der Entspannung würden ihr etwas Perspektive geben. Sie blickte zu Deke, der noch immer von seinem Schiff aus die Landschaft scannte.

Squig hatte sich gegen den Hang gelehnt und versuchte seinen Scanner zu reparieren. Er riss ein ganzes Scanning-Modul ab und warf es den Hang hinunter.

Dann traf es sie wie ein Blitz. Dem Impuls, zu rennen, widerstehend, versuchte sie lässig zum Artefakt zurückzugehen. Sie scannte die Kanten des Panels erneut. Senzen näherte sich.

„Hast du was gefunden?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht.“ Tonya strich mit ihren Fingern über die Kante des Fragmentes. „Aber es ist nicht so, als würde ich es dir verraten, wenn dem so wäre.”

„Na gut.“ Er stand über ihr uns sah zu.

Tonya griff nach dem Stück Metall und prüfte das Gewicht. Sie könnte es ohne Hilfe umdrehen, aber nicht kontrolliert oder ohne es zu beschädigen.

„Helfen Sie mir mal“, sagte sie zu den Arbeitern. Diese bewegten sich nicht, sahen sich nur gegenseitig an und blickten dann zu Senzen.

„Ja, ich habe bereits eine Vereinbarung mit ihnen, so dass sie nur mir helfen.“ Senzen zuckte unschuldig mit den Schultern.

Tonya gab ihm einen bösen Blick und drehte es dann selbst um. Das Fragment krachte auf seine andere Seite. Es tat ihr im Herzen weh, dies zu tun, aber sie würde gegen Senzen kein Stück nachgeben.

Die Innenseite des Panels war der Außenseite sehr ähnlich. Metall. Geschmolzen. Es gab einen Fleck, der weniger zerschmolzen war als der Rest. Tonya untersuchte jeden Millimeter mit ihrer Zoom-Optik. Endlich fand sie eine Kante. Eine saubere Kante.

Das war es. Sie musste das aufkommende Hochgefühl unterdrücken, um nichts preiszugeben. Sie sah sich um, aber Senzen war verschwunden.

Fünf Minuten später stand Tonya vor Arlingtons vorübergehendem Büro. Der Assistent bat sie, hereinzukommen. Tonya widerstand ein weiteres Mal dem Drang, die letzten Schritte zu rennen. Arlington saß an seinem Schreibtisch und schaute sich Daten seines Unternehmensvermögens an.

„Sie haben etwas gefunden?“, fragte er, ohne aufzublicken.

„Ich glaube nicht, dass dies die Absturzstelle ist, Herr Arlington.“

Arlington schenkte ihr schließlich seine Aufmerksamkeit. Tonya holte Fotos hervor und zoomte auf das Stück, bis sie die saubere Kante fokussiert hatte.

„Sehen Sie das? Die Kante wurde nicht herausgerissen oder verbogen. Sie wurde geschnitten.“ Tonya holte eine zusätzliche Datensammlung ihrer Erkenntnisse hervor. „Meine Analyse sagt mir, dass der Schnitt mit einem Präzisionslaser ausgeführt wurde. Dieser ist zwar verglichen mit den heutigen Standards unbeholfen, stimmt aber mit der Technologie überein, die es zur Zeit der Artemis gab.“

„Fahren Sie fort.“                       

„Ich glaube, die Artemis ist hier gelandet, um Reparaturen auszuführen“, sagte Tonya, während die Aufregung wieder in ihr aufstieg. „Sie ist noch irgendwo da draußen.“

„Eine wahrlich erstaunliche Entdeckung, Herr Turov“, sagte Arlington zu einer Seitentür. Tonya blickte sich verwirrt um. Senzen trat herein.

„Ich sagte Ihnen doch, dass wir etwas Großartiges gefunden haben.“ Senzen stellte sich neben Tonya.

„Wir?“, stammelte sie. Ihre Verwirrung verwandelte sich schnell in blanke Empörung. „Herr Arlington, ich weiß nicht, was er Ihnen gesagt –“

„Frau Oriel, bitte.“ Arlington winkte ab. „Sie haben mich bereits überzeugt.“

Tonya blickte wütend zu Senzen, mit dem plötzlichen Wunsch nach pyrokinetischen Kräften.

„Das Angebot steht immer noch“, sagte Arlington, während er sich wieder seinen Daten widmete. „Nun gehen Sie beide auf die Suche.“

Zur nächsten Episode geht es hier entlang.

Übersetzung:  Malu23   Korrektur:  alreadytaken   Originaltext