Ardoss‘ Finger ruhte auf dem Abzug seiner Pistole. Ihm war immer klar, dass es so ablaufen würde. Nun, vielleicht nicht genauso.
Mithilfe des Schiffspiloten Jonah Ruskella hatte er endlich seinen Partner Pietro Marquez ausfindig machen können. Jonah war ein Kurier für den Piraten Mickey Black, der sich gegen seinen Arbeitgeber gestellt hatte.
Doch alles war schiefgegangen. Ardoss‘ Tarnung war aufgeflogen, das Schiff war vorübergehend entführt worden und nun, wo sie endlich alle hier waren, stellte sich heraus, dass Mickey Pietro hintergangen hatte und die versprochene Fracht fehlte.
Nun standen sie in einer alten, verlassenen Tankstation, Pistolen aufeinander gerichtet, und Jonah war dazwischen gefangen. Nach allem, was Ruskella für Ardoss riskiert hatte, konnte er nicht zulassen, dass Pietro ihn erschießt.
Als Ardoss sah, wie eine Schweißperle über das Gesicht seines Ex-Partners lief, kam er nicht umhin, daran zu denken, wie die Advocacy ihm Pietro als Partner zugewiesen hatte. Pietro war damals ein blutiger Anfänger gewesen.
Doch dieser junge Mann war verschwunden. Ardoss war sich dessen bis zu diesem Moment nicht bewusst geworden. Pietros schwarzes Haar war dünn und ergraute. Sein Mund und seine Augen lagen in Falten und sein jugendlicher Überschwang war verschwunden. Übrig blieb ein alter Mann, müde und gezeichnet.
„Ich erinnere mich an diesen Ort“, bemerkte Ardoss. „Er wurde von einer Bande Schmuggler genutzt.“
„Sklavenhändler“, berichtigte ihn Pietro.
„Auch eine Art von Schmuggelware“, entgegnete Ardoss.
„Du hast immer alles vereinfacht, Ardoss“, sagte Pietro. „Doch die Welt lässt sich nicht so einfach in Gut und Böse aufteilen, Schmuggelware und nicht Schmuggelware. Sie ist so viel komplizierter als das.“
„Ich beginne das zu erkennen“, antwortete Ardoss. Seine Hand begann sich zu verkrampfen. Sie konnten nicht ewig so weitermachen. Irgendwann würde jemand abdrücken.
„Das glaube ich nicht“, entgegnete Pietro. „Wenn du nicht sehen kannst, was Mickey Black macht, bist du blind.“
Ardoss wurde bewusst, wie müde der Mann war. Er war kein Meisterspion, der seine Prinzipien verraten hatte. Er steckte in der Falle. Ardoss wollte ihn ebenso wenig töten, wie er Jonah töten wollte. Es war nicht ihre Schuld.
„Mir wurden die Augen geöffnet“, sagte Ardoss. „Mickey Black ist ein Monster. Ich möchte dir helfen. Du musst nicht weglaufen. Wir können ihn zusammen zur Strecke bringen.“
Pietro lachte. „Einen Mann wie Mickey Black bringt man nicht zur Strecke. Ist dir bewusst, wie groß seine Organisation ist? Tausende von Menschen, von Kurieren wie Jonah über Spione wie mich bis hin zu Auftragskillern, über die du nicht mal nachdenken möchtest. Er ist ein Alptraum. Ein wandelnder, sprechender und atmender Alptraum. Es kommt etwas auf uns zu. Es ist groß. Größer als groß. Es wird alles verändern und ich bin nur ein kleiner Teil davon.“
„Du musst nicht in Angst leben“, sagte Ardoss. „Rede mit mir. Sag mir, warum?“
„Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern“, antwortete Pietro. „Es ist nicht wichtig. Mein Leben ist vorbei. Ich muss hier verschwinden.“
„Du musst gewusst haben, dass dir jemand auf die Schliche kommen würde“, sagte Ardoss. „So etwas bleibt nicht geheim. Und die Advocacy wird nicht aufhören, dich zu verfolgen. Selbst wenn du in das Gebiet der Banu flüchtest, werden sie weiter nach dir suchen.“
„Besser als tot zu sein“, entgegnete Pietro.
„Ein Leben in Angst?“, fragte Ardoss. „Schlaflose Nächte? Immer auf der Flucht? Immer mit einem Blick über die Schulter? Wir beide haben solche Typen gesehen. Am Ende nehmen sie sich das Leben oder isolieren sich so stark vom Rest des Universums, dass sie ihren Verstand verlieren – nicht mehr wissen, was Realität ist und was nicht. Das ist kein Leben, Pietro. Das ist nur eine andere Art von Gefängnis. Lass mich dich verhaften. Gib der Advocacy alles, was du über Mickey Black weißt, und wir können ihn schnappen.“
„Es wird immer jemanden geben, der seinen Platz einnimmt“, erwiderte Pietro.
„Sicher wird es das“, sagte Ardoss. „Aber es wird einer weniger sein. Wir können ihnen das Leben schwer machen, nach Menschen suchen, die gezwungen wurden, für ihn zu arbeiten. Wir können helfen, Pietro. Du weißt, dass wir es können.“
„In Anbetracht dessen, dass ich zwischen zwei Pistolenläufen feststecke“, sagte Jonah, „würde ich mich gerne in das Gespräch einmischen.“
Pietro warf einen Blick auf Jonah.
„Ich befinde mich in der gleichen Bredouille wie du“, sagte Jonah. „Ständig in Angst, was Mickey als Nächstes von mir verlangen könnte. In Angst, verhaftet zu werden, oder dass meine Familie verletzt werden könnte. Doch ich stelle mich dem entgegen. Ich bin es satt, in Angst zu leben. Ich weiß, du fühlst genauso. Du musst es einfach. Dies ist kein Leben, jedenfalls keines, dass sich zu leben lohnt. Wir müssen es zumindest versuchen.“
„Hör auf ihn, Pietro“, sagte Ardoss. „Er hat zu Hause eine Frau und zwei Kinder. Er macht das für sie. Und du musst an deine eigene Familie denken. Möchtest du, dass sie sich ständig um dich sorgen, sie niemals wissen, wo du bist? Oder willst du sie beschützen?“
„Ich will, dass sie in Sicherheit leben“, antwortete Pietro.
„Natürlich willst du das“, sagte Jonah. „Das ist alles, was du jemals wolltest, was wir alle wollen.“
„Du wirst sie in Schutzhaft nehmen, nicht wahr?“, fragte Pietro, während er seine Waffe senkte. Jonah nahm ihm die Waffe ab und steckte sie ein. Ardoss senkte seine Waffe ebenfalls.
„Ja“, antworte Ardoss. „Mickey wird sie nicht finden.“
„Ich werde dir alles erzählen“, sagte Pietro. „Abholungen, geheime Informationsverstecke, mit wem und wo ich mich getroffen habe. Du solltest ebenso wissen, dass er plant, –“
Doch Ardoss würde niemals von Pietro erfahren, was Mickey plante. Ein Schuss hallte durch die Landebucht und Pietro sackte zusammen wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten worden waren.