Jonah ging im Frachtraum auf und ab. Es fühlte sich wie Stunden an, dass Char und der Agent die Luftschleuse verlassen hatten. Nach allem, was er wusste, könnte der Agent sie bereits getötet haben. Doch er zweifelte daran. Char war dafür eine viel zu gute Kämpferin.
Doch allein und gefangen in seinem eigenen Frachtraum ging seine Fantasie mit ihm durch. Ihm schwirrten alle möglichen schrecklichen Szenarien durch den Kopf.
Jonah versuchte die Tür auf jede erdenkliche Art zu öffnen, doch diese wollte einfach nicht nachgeben. Dieser widerliche Politiker musste die Tür mit etwas blockiert haben. Nur der Gedanke daran, wie jemand sein Schiff beschädigte, brachte ihn in Rage.
Endlich, nach Johnas zigstem Versuch, die Tür zu öffnen, erschien Chars Gesicht auf der anderen Seite. Mit einem Grinsen öffnete sie die Tür.
„Wo ist Thrumm?“, fragte Jonah.
„Der macht ein Schläfchen.“ Sie drehte sich um und ging zum Passagierbereich, während sie ihm bedeutete, ihr zu folgen.
Jonah sah sich um, während er ihr folgte. Er entdeckte den Politiker genau vor der Cockpittür. Auf seiner rechten Gesichtshälfte zeichnete sich eine große Beule ab. Während seines Schlafes zuckten seine Augenlieder, doch abgesehen davon regte er sich nicht.
„Und der Agent?“, fragte Jonah. „Er hat dir keine Probleme bereitet?“
„Ich habe dir doch gesagt, ich kann auf mich aufpassen“, antwortete sie. „Aber es gibt ein Problem.“
„Und das wäre?“, fragte Jonah.
„Er wurde in den Raum geblasen“, antwortete sie. „Wir können ihn zurücklassen oder retten.“
Jonah starrte sie an.
„Das Problem ist nur“, sagte sie, während sie den Politiker anblickte, „dieser kleine Arsch hat uns vom Kurs abgebracht und uns so viel Zeit gekostet.“ Sie gab ihm einen Tritt. Der Mann stöhnte, wachte aber nicht auf. „Wir werden uns verspäten.“
Jonahs Magen drehte sich. Er blickte auf den bewusstlosen Mann auf dem Boden hinunter und dann zurück zu Char. „Wir können Ardoss nicht einfach da draußen herumschweben lassen.“
„Bist du sicher?“, fragte Char.
Jonah nickte. „Er hat uns geholfen.“
Sie nickte und änderte den Kurs des Schiffes. „Du ziehst es also durch? Du wirst ihm helfen, Mickey dranzukriegen?“
„Es ist ein Ausweg“, entgegnete er.
Sie lächelte. „Gut, ist auch höchste Zeit.“
„Ich muss es wissen, Char. Nach all den Jahren, warum hast du nie etwas gesagt?“
Char drehte sich um und blickte ihn an. „Du hast es nie erwähnt, also bin ich davon ausgegangen, dass du nicht darüber reden möchtest. Ich weiß es zu schätzen, dass du mich da nicht hineinziehen wolltest, dennoch habe ich immer auf dich aufgepasst. Bis jetzt war die Arbeit immer gut, beständig und auch nicht sonderlich gefährlich. Du bist mein Freund. Ich habe nur ungern mit angesehen, wie du für so einen Schleimbolzen wie Mickey Black gearbeitet hast, aber ich habe es verstanden. Die Zeiten sind hart. Aber dich zu beauftragen, jemanden zu töten? Das ist nicht okay.“
Jonah wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Handlungen hätten ihr das Leben kosten – ihr Leben zerstören können – aber sie war noch immer loyal. Er musste einen Weg finden, es wieder gut zu machen.
Schließlich erblickten sie Ardoss. Jonah wusste, sein Sauerstoff würde bald zuneige gehen. Diese Anzüge boten nur wenig Atemluft.
„Ich hole ihn“, sagte Char, während sie nach dem Helm griff.
Jonah folgte, doch sie schüttelte ihren Kopf.
„Ich kann die Kontrollen bedienen und die Rettung vollziehen“, sagte sie. „Bleib du hier und hab ein Auge auf ihn.“
Jonah blickte hinab auf Thrumm.
„Warum hat er das getan?“
Ihm ihren Rücken zugewandt zuckte sie mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe ihm eine verpasst, bevor er Ausflüchte machen konnte. Wir waren im Vakuum, ich hätte eh nichts gehört. Wir sind nah genug. Ich werde Ardoss reinholen.“
Jonah ersetzte sie am Steuer und sah sich an, wie sie aus dem Frachtraum in die Leere des Alls schwebte. Sie legte ihre Arme um Ardoss und zündete die Gegenschubdüsen, um sie beide zurück zum Schiff zu befördern. Der Anblick allein drehte Jonah den Magen um. Dort draußen verloren zu gehen, war beängstigend. Er hoffte, dass es Ardoss gut ging. Es wäre eine schreckliche Art zu sterben.
Als ihm die Sensoren anzeigten, dass sowohl Char als auch Ardoss an Bord waren und sich der Druck wieder ausgeglichen hatte, richtete Jonah seine Aufmerksamkeit auf den Politiker.
Er hockte sich neben den Möchtegernschiffsentführer und untersuchte ihn. Thrumm roch nach teurem Öl und trug einen edlen Anzug, der aus einem weichen und leichten Material bestand. Seide? Oder etwas Synthetisches? Was auch immer es war, es war teuer.
Er drehte sich, um sich die Schuhe des Mannes anzusehen. Leder. Echtes Leder.
Jonah rub sich das Kinn. Dieser Typ hatte einen teuren Geschmack, verlangte sogar eine Privatkabine auf einem Schiff, das nicht mal genug Platz für private Mannschaftsquartiere hatte.
Er gab dem Politiker eine Ohrfeige.
Thrumm stöhnte.
Jonah schüttelte den Bürokraten. „Hey Freundchen, aufwachen!“
Thrumms Augen öffneten sich und er murmelte etwas.
„Was war das?“, fragte Jonah. „Ich kann Sie nicht verstehen.“ Er zog Thrumm an seinem Hemd hoch.
„Töten Sie mich nicht“, flehte dieser mit erstickter Stimme.
„Das kommt darauf an, was Sie als Nächstes sagen“, antwortete Jonah.
Natürlich würde er ihn nicht töten, doch das musste der bürokratische Schweinehund ja nicht wissen. Er fühlte einen Adrenalinschub und seine Hände zitterten, jedoch nicht aus Angst. Es fühlte sich gut an, zur Abwechslung einmal die Kontrolle zu haben. Das Gefühl schockierte ihn so sehr, dass er den Mann beinahe fallen ließ.
„Es war erst ein bisschen“, sagte Thrumm. „Dann ist es mehr und mehr geworden. Ich konnte mir nicht helfen. Ich bin so lange damit davongekommen, dass ich nicht glaubte, irgendjemand würde mir auf die Schliche kommen. Ich bin nachlässig geworden.“
„Wovon reden Sie?“, fragte Jonah.
„Das Geld“, antwortete Thrumm. „Ich habe es genommen. Es tut mir leid.“
Jonah ließ den Mann los und seufzte. Thrumm winselte. „Werden Sie mich der Polizei übergeben?“
Jonah hob eine Augenbraue. „Für Diebstahl? Ich bin kein Polizist.“
„Aber dieser Mann“, entgegnete Thrumm, „er gehört der Advocacy an.“
Jonah starrte den Politiker einen Moment lang an, blinzelte und begann zu lachen. Er lachte so sehr, dass er auf sein Gesäß fiel. Es war so absurd.
„Habe ich einen Witz verpasst?“, fragte der Agent. Seine Stimme klang zerbrechlich. Jonah sah auf und bemerkte wie blass sein Gesicht war.
„Sie haben überlebt“, sagte Jonah.
„Ich weiß zu schätzen, dass sie mich gerettet haben“, erwiderte der Agent.
Jonah stand auf. „Wir hatten eine Vereinbarung.“
„Es war also der Politiker“, bemerkte der Agent, während er auf diesen hinunterblickte.
„Veruntreuer“, sagte Jonah. „Er dachte, Sie würden ihn in Ketten abführen.“
„Moment“, fragte Thrumm, „Sie sind nicht hier, um mich zu verhaften?“
Die Augen des Agenten weiteten sich und er hob seine Augenbrauen.
„Nein“, antwortete er. „Veruntreuung? Ihre eigene Regierung wird sich darum kümmern müssen. Sie hätten die Reise ohne Probleme beenden können und ich hätte Sie nicht zweimal angeguckt.“
Thrumm schien zusammenzusacken; auf seinem Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab. „Sie lassen mich also gehen?“
Der Agent schnaubte. „Verlassen Sie sich nicht darauf. Sie sollten das Leben eines Advocacy-Agenten wirklich nicht gefährden. Ich werde den lokalen Behörden eine Nachricht zukommen lassen, sobald das Schiff wieder voll unter Kontrolle ist. Natürlich angenommen, der Pilot lässt mich seine Kommunikationsanlage benutzen.“
„Nur zu“, entgegnete Jonah. Er wollte, dass sie diesen bemitleidenswerten Bastard für immer wegsperren.
„Ich schließe ihn in die Kabine ein“, sagte Char. „Wir sind wieder auf Kurs und sollten innerhalb einer Stunde beim Sprungpunkt sein.“
Jonah nickte ihr zu.
„Kopf hoch, Herr Thrumm“, sagte sie, während sie ihn aus dem Copckpit schubste. “Sie bekommen endlich ihre Privatkabine.“
Thrumm erblasste. Char führte ihn an den anderen Passagieren vorbei. Die Geschäftsfrau blickte erschrocken und der Jugendliche beugte sich in seinem Sitz vor.
„Hey Lady“, sagte der Junge, “kann ich als Nächster fliegen?“
Char schnaubte. „Besorgt dir ne Lizenz.“