Jonah brach zum zweiten Mal an diesem Tag in kalten Schweiß aus. Sie waren bereits am Sprungpunkt angelangt, auf ihrem Weg, Versorgungsgüter bei einem gesuchten Verbrecher abzuliefern, mit einem Schiff voller Passagiere, die nicht an Bord sein sollten – und einer von ihnen war ein Agent der Advocacy. Obendrein war der Agent der ehemalige Partner des Verbrechers.
Es sah ganz und gar nicht gut aus für ihn.
„Char, du musst die Fracht überprüfen“, sagte Jonah.
Sie hob eine dünne schwarze Augenbraue. Er wusste, wie eigenartig das klingen musste. Sie waren gerade erst abgehoben.
„Stelle nur sicher, dass sich nichts verschoben oder irgendjemand daran rumgefummelt hat“, sagte er.
Sie stürzte ihre Lippen und nickte. Er konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie es ihm nicht abnahm, doch sie würde tun, worum er sie bat. Bevor sie das Cockpit verließ, warf sie ihm noch einen letzten Blick zu. Die Tür schloss sich geräuschvoll und Jonah aktivierte die Kommunikationsanlage.
Er hatte diesen Code bisher nur ein paarmal benutzt. Er war nur für Notfälle gedacht, und dies war ein Notfall.
„Ich kann nur hoffen, es ist wichtig“, knurrte eine Stimme.
„Ich muss mit Mickey sprechen“, entgegnete Jonah.
Stille.
„Wenn du kneifst…“, warnte die Stimme. Es musste Mickeys rechte Hand gewesen sein – ein Mann, der nur als „Nummer Zwei“ bekannt war. Mit Ausnahme von Mickey kannte niemand seinen Namen.
„Nein“, erwiderte Jonah. „Ich habe ein Problem und muss mit Mickey sprechen.“
In Wahrheit wollte er wirklich aus dem Deal heraus, nun mehr denn je. Bis jetzt hatte ihn die Angst vor Mickey vorangetrieben. Er schuldete ihm Geld und war mit den Zahlungen im Verzug. Doch nun war ein Agent im Spiel. Es war ein älterer Mann, aber Pietro hatte mit einer Ehrfurcht in seiner Stimme von ihm gesprochen, als wäre dieser ein Halbgott. Der Mann hatte so viele Kriminelle gefangen oder getötet, dass Jonah überrascht war, dass er Pietro so lange nicht auf die Schliche gekommen war.
Stille knisterte vom anderen Ende der Verbindung und Schweiß lief Jonah das Gesicht hinunter. Sein Kopf juckte und sein Mund war trocken.
Schließlich kam Mickey an die Leitung.
„Wie groß ist das Problem, Jonah, mein Junge?“ Seine Stimme klang angespannt. Er war nicht glücklich.
„Oh, etwa 1,83 m groß und nennt sich Ardoss.“
„Mickey schniefte. „Der Name kommt mir bekannt vor.“
„Es ist Pietros Partner”, sagte Jonah.
„Ah ja, das wird es sein“, erwiderte Mickey. „Warum hast du einen Passagier, Jonah? Ich habe mir deine Frachtliste angesehen. Da waren keine Passagiere drauf. Es war nur Fracht.“
Er schrie nicht. Niemals. Er blieb immer ruhig und behielt eine gleichmäßige Stimmlage. Er ließ dich in dem Glauben, alles sei in Ordnung. Jonah musste sich unwillkürlich an das zerstörte Gesicht des Barkeepers erinnern.
„Passagiere, plural“, erwiderte Jonah, während er versuchte, seine Stimme nicht zittern zu lassen. „Ich bin voll ausgebucht. Haru hat meine Passagierliste in der letzten Minute geändert. Ich dachte, ein Politiker hatte seinen Einfluss walten lassen, aber jetzt glaube ich, es war dieser Ardoss.“
„Du glaubst, er ist auf der Suche nach seinem alten Partner?“, frage Mickey.
„Ich kann mir nichts anderes vorstellen“, antwortete Jonah.
Mickey holte langsam Luft. „Der Auftrag muss erledigt und Pietro mit allem, was er braucht, versorgt werden. Wir können nicht zulassen, dass dieser Ardoss uns in die Quere kommt.“
„Darum habe ich angerufen“, sagte Jonah. „Können wir das Ganze verschieben?“
Jonah konnte Mickeys Zähne praktisch knirschen hören.
„Verschieben?“, fragte er mit einer zwar noch immer gleichmäßigen, aber etwas höheren Stimme.
„Ich schmeiß Ardoss bei der nächsten Station raus“, sagte Jonah. „Er muss wegen Pietro hier sein. Er hat ein Einkaufszentrum hochgejagt, um ihn zu erwischen. Ich kann diese Art von Ärger nicht gebrauchen. Wenn er raus ist, fliege ich zurück und bringe Pietro seine Fracht.“
„Das war nicht der Deal, Jonah“, insistierte Mickey. „Du lieferst deine Fracht ab, wenn ich es dir sage. Kommst du zu spät, haut Pietro ab. Er weiß Dinge über meine Organisation. Ich muss sicherstellen, dass er glücklich ist. Halt dich an den Zeitplan. Hast du verstanden?“
Jonahs Herz sank ihm in die Hose. „Ja, ich verstehe. Was soll ich mit Ardoss machen?“
„Töte ihn“, antwortete Mickey.
Der Schweiß auf Jonahs Gesicht und Rücken wurde kalt und er dachte, er müsste sich übergeben.
„Ich habe niemals jemanden umgebracht“, sagte Jonah.
„Der erste ist schwer, das stimmt“, sagte Mickey mit einer sanfteren Stimme. „Aber wenn er lebt, gefährdest du den ganzen Auftrag. Wenn du ihn irgendwo absetzt, kommt er zurück und du landest im Gefängnis. Und wenn du glaubst, dass dich ein Gefängnis der Advocacy vor mir schützen wird, solltest du wissen, dass ich überall Leute habe, Jonah. Ich werde bekommen, was mir zusteht, auf die eine oder andere Weise.“
„Doch die Advocacy wird mich jagen, wenn ich ihn töte“, erwiderte Jonah. „Ich wäre ein gesuchter Mann.“
„Lass das mal meine Sorge sein“, entgegnete Mickey. „Denk du nur an deine Familie, mein Junge. Sie brauchen ihren Vater. Sie brauchen das Geld.“
„Jonah schluckte. Mit Mickey zu sprechen, hatte die Situation in keiner Weise vereinfacht. Er war noch immer zwischen zwei unmöglichen Entscheidungen gefangen.
„Und wie schlägst du vor, soll ich einen Agenten der Advocacy töten?“, fragte Jonah. „Es ist ja nicht so, als ob ich ihn aus der Luftschleuse schmeißen könnte.“
„Du könntest“, antwortete Mickey. Jonah konnte das Grinsen auf seinen Lippen hören.
„Doch ich habe eine einfachere Lösung für dich“, fuhr Mickey fort. „In der Kiste für Pietro befindet sich eine Pistole. Sie befindet sich in einem doppelten Boden, kein Code, nur ein spezieller Verschlussmechanismus. Sie ist geladen, also sei vorsichtig. Hast du jemals eine Pistole abgefeuert?“
„Nein“, antwortete Jonah kopfschüttelnd. Er hatte gesehen, wie sie abgefeuert wurden und ihren furchtbaren Krach gehört. Seine Ohren schmerzten alleine vom Gedanken daran.
„Es ist wirklich einfach“, sagte Mickey. „Richte sie einfach auf den Typen aus, den du töten willst, und drück ab. Es ist wie Magie. Triff sie an der richtigen Stelle und sie sind tot.“
Jonahs Magen verdrehte sich.
„Ist noch was?“, fragte Mickey nach einem Moment.
„Nein“, antwortete Jonah, „ich schätze, das war’s.“
„Gut“, sagte Mickey. „Ich weiß, du wirst das Richtige tun. Ruf mich an, wenn es erledigt ist.”
Die Verbindung brach ab.
Jonah starrte auf seine Konsole. Zehn Jahre hatte er für Mickey gearbeitet und war niemals aufgefordert worden, jemanden zu töten.
Andererseits hatte er auch niemals zuvor einen Agenten an Bord gehabt.
Es klopfte an der Tür und Jonah ließ seinen Kopf hochschnellen. Char war zurück aus dem Frachtraum.
Er ließ sie hinein.
„Um Himmels Willen, Jo, du bist blass wie ein Gespenst“, bemerkte sie. „Geht’s dir gut?“
„Ja“, sagte er, während er von seiner Station aufstand. „Ich muss die Fracht überprüfen.“
„Was ist los?“, fragte sie.
„Nichts“, antwortete er abweisend. „Ich habe etwas vergessen. Wird nicht lange dauern.”
Er konnte ihre Augen in seinem Nacken spüren, als er das Cockpit verließ. Sie wusste, dass etwas vor sich ging. Er hoffte nur, er könne sie aus der Sache raushalten. Dies war nicht ihre Bürde.
Er erblickte den Agenten im Passagierbereich und knirschte mit den Zähnen. Es war Zeit, es hinter sich zu bringen.