One Last Job Episode 2



Jonah brach zum zweiten Mal an diesem Tag in kalten Schweiß aus. Sie waren bereits am Sprungpunkt angelangt, auf ihrem Weg, Versorgungsgüter bei einem gesuchten Verbrecher abzuliefern, mit einem Schiff voller Passagiere, die nicht an Bord sein sollten – und einer von ihnen war ein Agent der Advocacy. Obendrein war der Agent der ehemalige Partner des Verbrechers.

Es sah ganz und gar nicht gut aus für ihn.

„Char, du musst die Fracht überprüfen“, sagte Jonah.

Sie hob eine dünne schwarze Augenbraue. Er wusste, wie eigenartig das klingen musste. Sie waren gerade erst abgehoben.

„Stelle nur sicher, dass sich nichts verschoben oder irgendjemand daran rumgefummelt hat“, sagte er.

Sie stürzte ihre Lippen und nickte. Er konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie es ihm nicht abnahm, doch sie würde tun, worum er sie bat. Bevor sie das Cockpit verließ, warf sie ihm noch einen letzten Blick zu. Die Tür schloss sich geräuschvoll und Jonah aktivierte die Kommunikationsanlage.

Er hatte diesen Code bisher nur ein paarmal benutzt. Er war nur für Notfälle gedacht, und dies war ein Notfall.

„Ich kann nur hoffen, es ist wichtig“, knurrte eine Stimme.

„Ich muss mit Mickey sprechen“, entgegnete Jonah.

Stille.

„Wenn du kneifst…“, warnte die Stimme. Es musste Mickeys rechte Hand gewesen sein – ein Mann, der nur als „Nummer Zwei“ bekannt war. Mit Ausnahme von Mickey kannte niemand seinen Namen.

„Nein“, erwiderte Jonah. „Ich habe ein Problem und muss mit Mickey sprechen.“

In Wahrheit wollte er wirklich aus dem Deal heraus, nun mehr denn je. Bis jetzt hatte ihn die Angst vor Mickey vorangetrieben. Er schuldete ihm Geld und war mit den Zahlungen im Verzug. Doch nun war ein Agent im Spiel. Es war ein älterer Mann, aber Pietro hatte mit einer Ehrfurcht in seiner Stimme von ihm gesprochen, als wäre dieser ein Halbgott. Der Mann hatte so viele Kriminelle gefangen oder getötet, dass Jonah überrascht war, dass er Pietro so lange nicht auf die Schliche gekommen war.

Stille knisterte vom anderen Ende der Verbindung und Schweiß lief Jonah das Gesicht hinunter. Sein Kopf juckte und sein Mund war trocken.

Schließlich kam Mickey an die Leitung.

„Wie groß ist das Problem, Jonah, mein Junge?“ Seine Stimme klang angespannt. Er war nicht glücklich.

„Oh, etwa 1,83 m groß und nennt sich Ardoss.“

„Mickey schniefte. „Der Name kommt mir bekannt vor.“

„Es ist Pietros Partner”, sagte Jonah.

„Ah ja, das wird es sein“, erwiderte Mickey. „Warum hast du einen Passagier, Jonah? Ich habe mir deine Frachtliste angesehen. Da waren keine Passagiere drauf. Es war nur Fracht.“

Er schrie nicht. Niemals. Er blieb immer ruhig und behielt eine gleichmäßige Stimmlage. Er ließ dich in dem Glauben, alles sei in Ordnung. Jonah musste sich unwillkürlich an das zerstörte Gesicht des Barkeepers erinnern.

„Passagiere, plural“, erwiderte Jonah, während er versuchte, seine Stimme nicht zittern zu lassen. „Ich bin voll ausgebucht. Haru hat meine Passagierliste in der letzten Minute geändert. Ich dachte, ein Politiker hatte seinen Einfluss walten lassen, aber jetzt glaube ich, es war dieser Ardoss.“

„Du glaubst, er ist auf der Suche nach seinem alten Partner?“, frage Mickey.                 

„Ich kann mir nichts anderes vorstellen“, antwortete Jonah.

Mickey holte langsam Luft. „Der Auftrag muss erledigt und Pietro mit allem, was er braucht, versorgt werden. Wir können nicht zulassen, dass dieser Ardoss uns in die Quere kommt.“

„Darum habe ich angerufen“, sagte Jonah. „Können wir das Ganze verschieben?“

Jonah konnte Mickeys Zähne praktisch knirschen hören.

„Verschieben?“, fragte er mit einer zwar noch immer gleichmäßigen, aber etwas höheren Stimme.

„Ich schmeiß Ardoss bei der nächsten Station raus“, sagte Jonah. „Er muss wegen Pietro hier sein. Er hat ein Einkaufszentrum hochgejagt, um ihn zu erwischen. Ich kann diese Art von Ärger nicht gebrauchen. Wenn er raus ist, fliege ich zurück und bringe Pietro seine Fracht.“

„Das war nicht der Deal, Jonah“, insistierte Mickey. „Du lieferst deine Fracht ab, wenn ich es dir sage. Kommst du zu spät, haut Pietro ab. Er weiß Dinge über meine Organisation. Ich muss sicherstellen, dass er glücklich ist. Halt dich an den Zeitplan. Hast du verstanden?“

Jonahs Herz sank ihm in die Hose. „Ja, ich verstehe. Was soll ich mit Ardoss machen?“

„Töte ihn“, antwortete Mickey.

Der Schweiß auf Jonahs Gesicht und Rücken wurde kalt und er dachte, er müsste sich übergeben.

„Ich habe niemals jemanden umgebracht“, sagte Jonah.

„Der erste ist schwer, das stimmt“, sagte Mickey mit einer sanfteren Stimme. „Aber wenn er lebt, gefährdest du den ganzen Auftrag. Wenn du ihn irgendwo absetzt, kommt er zurück und du landest im Gefängnis. Und wenn du glaubst, dass dich ein Gefängnis der Advocacy vor mir schützen wird, solltest du wissen, dass ich überall Leute habe, Jonah. Ich werde bekommen, was mir zusteht, auf die eine oder andere Weise.“

„Doch die Advocacy wird mich jagen, wenn ich ihn töte“, erwiderte Jonah. „Ich wäre ein gesuchter Mann.“

„Lass das mal meine Sorge sein“, entgegnete Mickey. „Denk du nur an deine Familie, mein Junge. Sie brauchen ihren Vater. Sie brauchen das Geld.“

„Jonah schluckte. Mit Mickey zu sprechen, hatte die Situation in keiner Weise vereinfacht. Er war noch immer zwischen zwei unmöglichen Entscheidungen gefangen.

„Und wie schlägst du vor, soll ich einen Agenten der Advocacy töten?“, fragte Jonah. „Es ist ja nicht so, als ob ich ihn aus der Luftschleuse schmeißen könnte.“

„Du könntest“, antwortete Mickey. Jonah konnte das Grinsen auf seinen Lippen hören.

„Doch ich habe eine einfachere Lösung für dich“, fuhr Mickey fort. „In der Kiste für Pietro befindet sich eine Pistole. Sie befindet sich in einem doppelten Boden, kein Code, nur ein spezieller Verschlussmechanismus. Sie ist geladen, also sei vorsichtig. Hast du jemals eine Pistole abgefeuert?“

„Nein“, antwortete Jonah kopfschüttelnd. Er hatte gesehen, wie sie abgefeuert wurden und ihren furchtbaren Krach gehört. Seine Ohren schmerzten alleine vom Gedanken daran.

„Es ist wirklich einfach“, sagte Mickey. „Richte sie einfach auf den Typen aus, den du töten willst, und drück ab. Es ist wie Magie. Triff sie an der richtigen Stelle und sie sind tot.“

Jonahs Magen verdrehte sich.

„Ist noch was?“, fragte Mickey nach einem Moment.

„Nein“, antwortete Jonah, „ich schätze, das war’s.“

„Gut“, sagte Mickey. „Ich weiß, du wirst das Richtige tun. Ruf mich an, wenn es erledigt ist.”

Die Verbindung brach ab.

Jonah starrte auf seine Konsole. Zehn Jahre hatte er für Mickey gearbeitet und war niemals aufgefordert worden, jemanden zu töten.

Andererseits hatte er auch niemals zuvor einen Agenten an Bord gehabt.

Es klopfte an der Tür und Jonah ließ seinen Kopf hochschnellen. Char war zurück aus dem Frachtraum.

Er ließ sie hinein.

„Um Himmels Willen, Jo, du bist blass wie ein Gespenst“, bemerkte sie. „Geht’s dir gut?“

„Ja“, sagte er, während er von seiner Station aufstand. „Ich muss die Fracht überprüfen.“

„Was ist los?“, fragte sie.

„Nichts“, antwortete er abweisend. „Ich habe etwas vergessen. Wird nicht lange dauern.”

Er konnte ihre Augen in seinem Nacken spüren, als er das Cockpit verließ. Sie wusste, dass etwas vor sich ging. Er hoffte nur, er könne sie aus der Sache raushalten. Dies war nicht ihre Bürde.

Er erblickte den Agenten im Passagierbereich und knirschte mit den Zähnen. Es war Zeit, es hinter sich zu bringen.

Ardoss rutsche auf seinem Sitz herum. Er hatte bisher noch nie mit Jonah Ruskella zu tun gehabt; sie waren sich nie über den Weg gelaufen. Der Pilot hätte ihn nicht erkannt. Das Letzte, was Ardoss gebrauchen konnte, war ein aufgeblasener Wichtigtuer, der seine Tarnung auffliegen ließ. Er wollte Ruskella nicht verschrecken, doch nun war es zu spät.

Die Copilotin kehrte vom Frachtraum zurück. Irgendetwas stimmte nicht. Er ignorierte das meiste, was der Politiker sagte, und beobachtete das Cockpit.

Die Tür war offen und er konnte eindringliches Geflüster über das Gespräch der Passagiere hinweg vernehmen. Einen Moment später erschien Ruskella in der Tür und blickte Ardoss direkt an.

Ruskella war blass, viel blasser als beim Einlass der Passagiere, und seine Hände zitterten. Er blickte zu Boden, als er an Ardoss vorbeiging.

Er führte etwas im Schilde.

Ardoss schnallte sich ab und folgte Ruskella in den Frachtraum. Er schlich den Korridor entlang, um von einer Pistole in seinem Gesicht begrüßt zu werden, sobald er um die Ecke bog.

„Tun Sie nichts, was Sie später bereuen, Ruskella“, sagte Ardoss.

„Mir tut bereits viel zu viel leid“, entgegnete Ruskella. „Dies sollte eine einfache Lieferung werden. Aber Sie mussten die Sache verkomplizieren. Sie hätten sich heraushalten und Pietro entwischen lassen sollen.“

„Sie treffen sich also mit Marquez“, sagte Ardoss.

„Als ob Sie das nicht bereits gewusst hätten“, erwiderte Ruskella. „Sie haben Druck ausgeübt, um einen Platz auf meinem Schiff zu bekommen. Sie haben einen falschen Namen angenommen. Sie wissen, für wen Pietro und ich arbeiten.“ Der Pilot war beinahe hysterisch. Dieser Mann war kein Mörder, das konnte Ardoss sehen. Er hielt nicht mal die Pistole richtig.

„Sie müssen mich nicht erschießen“, sagte Ardoss, während er seine Hände langsam hob. Die Pistole brachte Ruskella mental aus dem Gleichgewicht. Er war nervös und die kleinste Bewegung könnte dazu führen, dass er abdrückt. Die Kugel würde die Hülle durchschlagen oder zum Abpraller werden. So oder so würde es böse enden.

„Doch, ich muss“, antwortete Ruskella.

Argoss schüttelte seinen Kopf und ging einen Schritt nach vorn. Ruskella nahm beide Hände an die Waffe. Sie wackelte noch immer, aber nicht mehr so stark. Falls er abdrückte, könnte er Ardoss tatsächlich treffen.

„Das haben Sie nicht in sich“, sagte Ardoss. „Sie sind ein Schmuggler, ein Kurier. Das ist alles. Sie sind kein Mörder. Und das werden Sie niemals sein. Das sind nicht Sie.“

 „Glauben Sie, ich will Sie umbringen? Ich will nur diesen Auftrag überleben und meine Familie wiedersehen“, entgegnete Ruskella.

„Mein Interesse gilt Pietro“, beruhigte Ardoss. „Er ist mein einziges Ziel. Helfen Sie mir und Sie werden das Innere einer Gefängniszelle nicht sehen. Sie können zu Ihrer Familie zurückkehren, Sie haben mein Wort.“

„Wenn ich Ihnen Pierto ausliefere, bin ich ein toter Mann“, erwiderte Ruskella.

„So muss es nicht laufen. Ich beschütze meine Informanten, aber wenn Sie mich töten, sind Sie erledigt“, sagte Ardoss. „Vielleicht nicht sofort, aber es wird passieren.“

Ruskellas Nasenflügel weiteten sich. Ardoss‘ Arme wurden langsam müde. Etwas musste geschehen, und zwar schnell.

„Steigen Sie in den Schrank“, befahl Ruskella.

„Wie bitte?“, fragte Ardoss.

„Direkt hinter Ihnen befindet sich ein Werkzeugschrank“, antwortete Ruskella. Man kann ihn von außen abschließen und er ist gerade groß genug für Sie. Los, rein jetzt.“

Ardoss faltete seine Stirn. „Ich werde nicht in einen Schrank steigen.“

„Gehen Sie oder ich werde Sie erschießen“, drohte Ruskella.

„Sie werden mich nicht erschießen“, erwiderte Ardoss.

Ruskella hob die Waffe an und ging einen Schritt nach vorn. Seine Hände mussten geschwitzt haben, denn die Waffe verrutschte ihm und er hatte Probleme sie wieder zu ergreifen. Ardoss nutzte die Ablenkung und rammte den Piloten. Er stieß mit Ruskellas Taille zusammen und die zwei Männer rasselten in die Frachtcontainer.

Die Pistole flog Ruskella aus der Hand und schlitterte über den Boden. Ruskella wich zurück und schlug Ardoss gegen die Schulter. Kein Zweifel, er hatte auf das Gesicht gezielt, doch der Schlag war dennoch hart. Der Mann mochte keine Ahnung von Waffen haben, aber er wusste, wie man zuschlug.

Ardoss stolperte rückwärts und Ruskella stürzte sich auf ihn. Ardoss bereitete sich auf den Aufschlag vor und griff ihn bei den Achseln. Er stieß den Mann zurück. Ruskella stolperte etwas und ging erneut zum Angriff über.

Ardoss hatte als Kind etwas Zeit auf einer Farm verbracht, einer Rinderfarm, um genau zu sein. Der Farmer besaß einen Bullen mit einem legendären Temperament. Er griff jeden an, der ihm zu nahe kam. Das war Ruskella. Ein Bulle. Sein Kampf war nicht fokussiert, nur eine tiefe Verzweiflung, zu gewinnen. Ardoss konnte ihm keinen Vorwurf machen.

Gleichwohl hatte er einen Auftrag zu erledigen.

Ardoss wich Ruskella aus und verschränkte beide Hände zu einer Faust. Er schlug Ruskella damit auf den Rücken und der Mann brach zusammen wie ein Kartenhaus.

„Dafür habe ich keine Zeit“, sagte Ardoss. „Sagen Sie mir, wo Sie Pietro Marquez treffen.“

„Nein“, antwortete Ruskella schnaufend, „keine Chance.“ Er stemmte sich auf wackeligen Armen hoch.

„Wenn Sie mir seinen Aufenthaltsort nennen, können wir Sie beschützen“, erwiderte Ardoss.

Ruskella rollte sich lachend auf seinen Rücken. Tränen rollten ihm das Gesicht herunter. „Kapieren Sie es nicht? Pietro weiß zu viel. Er weiß viel mehr als ich. Wenn ich ihn ausliefere, gibt es nichts, was mich beschützen kann. Mickey Black hat überall Spione. Überall. Verstehen Sie? Für mich gibt es keinen sicheren Ort, wenn ich Ihnen helfe. Und es gibt auch keinen sicheren Ort für Pietro. Lassen Sie ihn laufen.“

„Das kann ich nicht“, entgegnete Ardoss.

„Dann töten Sie mich“, sagte Ruskella. „So oder so bin ich ein toter Mann.“

Ardoss schüttelte den Kopf. „Das ist nicht mein Auftrag. Ich werde Pietro Marquez verhaften, dann bringe ich Sie beide zur Advocacy-Station und Sie werden sich vor Gericht für Ihre Verbrechen verantworten müssen. Und jetzt steigen Sie in den Schrank.“

„Meine Copilotin wird das nicht mitmachen.“

„Mit der werde ich schon fertig.“

Ein Lächeln breitete sich auf Ruskellas Gesicht aus. „Das wage ich schwer zu bezweifeln.“

Über Ardoss‘ Hinterkopf breitete sich ein Schmerz aus und er fiel auf seine Knie.

„Bist du okay, Jo?“

„Ja, Char“, antwortete Ruskella. „Danke für deine Hilfe.“

„Das ist also die Fracht, die du überprüfen wolltest?“, fragte sie. „Warum hast du mich nicht sofort eingeweiht?“

Ardoss‘ Sicht verschwamm und er konnte ihre Unterhaltung kaum verstehen. Sie hatte ihn hart getroffen. Offensichtlich nicht hart genug, um ihn besinnungslos zu schlagen, aber hart genug, um ihn lange darüber nachdenken zu lassen, ob er aufstehen wollte.

„Tut mir leid“, sagte Ruskella. „Ich wollte dich nicht mit hineinziehen.“

Sie seufzte entnervt. „Dieses Schiff ist auch mein Zuhause. Was auch immer hier passiert, geht mich etwas an.“

„Ich werde es mir merken“, antwortete Ruskella.

„Was soll mit ihm geschehen?“, fragte die Copilotin. Sie stieß Ardoss mit ihrem Stiefel an.

„Ich werde ihn nicht töten“, sagte Ruskella.

„So etwas würde ich auch nicht vorschlagen, Jo“, sagte sie. „Aber er erschwert deinen Auftrag für Mickey, nicht wahr?“

„Ja“, antworte Ruskella. „Moment, woher weißt du von Mickey?“

Sie lachte. „Jo, ich kenne dich seit sechszehn Jahren. Du solltest dir Sorgen machen, wenn ich nicht Bescheid weiß, was in deinem Leben vorgeht.“

Ardoss‘ Sicht wurde wieder etwas klarer und er vermochte sich gerade so zu drehen, dass er über seine Schulter blicken konnte. Die Copilotin hielt ihm die Pistole ins Gesicht.

„Bitte“, sagte sie, „anders als mein Freund weiß ich, wie man eine Waffe abfeuert.“

Er blinzelte. Sie meinte es ernst. Die Art wie sie die Waffe hielt und die Akkuratheit ihres Overalls ließen keinen Zweifel. Sie sah aus wie ein Ex-Militär. Es hätte ihm früher auffallen müssen. Und das wäre es auch, wenn er nicht so darauf fokussiert gewesen wäre, seinen alten Partner zu schnappen.

Ardoss seufzte. „Was werden Sie also mit mir tun?“

Die Copilotin wandte ihre Augen nicht von ihm ab. Ardoss drehte seinen Kopf zu Ruskella, welcher seine Lippen verschmälerte.

„Ich…“, begann er. Doch das Schiff erbebte.

Ardoss verlor beinahe sein Gleichgewicht. „Was zum Henker?“

Wut breitete sich auf Ruskellas Gesicht aus.

„Irgendjemand fliegt mein Schiff.“

Es lief ganz und gar nicht wie geplant. Ardoss wollte sich inkognito auf dem Schiff, der Open Sky, einschleusen, zum Treffen mit Pietro Marquez gelangen und allesamt verhaften.

Nun hatte irgend so ein spießiger Politiker, der für seinen teuren Anzug zu groß war, seine Tarnung auffliegen lassen, was zu einem Showdown im Frachtraum geführt hatte. Und jetzt sah es so aus, als würde sich die schon unglückliche Situation noch verschlimmern.

„Jemand hat Ihr Schiff gekapert?“, fragte Ardoss.

„Keine Ahnung“, antwortete Ruskella, „aber ich habe einen Zeitplan einzuhalten. Mickey reißt mir den Kopf ab, wenn ich mich verspäte.“

„Was soll nun mit ihm werden?“, fragte die Copilotin, während sie mit ihrem Kopf in Ardoss‘ Richtung deutete.

„Ich kann ihn nicht frei im Schiff herumlaufen lassen“, antwortete Ruskella. „Wir müssen ihn im Schrank einsperren.“

„Ich kann helfen“, sagte Ardoss.

„Keine Chance“, entgegnete Ruskella.

„Sie vergessen“, sagte Ardoss, „wenn Sie Ihr Treffen mit Pietro verpassen, tue ich das auch. Wir beide haben ein Interesse daran, was auf diesem Schiff passiert und wohin es fliegt.“

„Und wenn wir ankommen“, sagte Ruskella, „werden Sie Pietro Marquez verhaften und ich werde sterben. Ich sehe hier eher einen Interessenskonflikt als ein gemeinsames Ziel.“

„Ich könnte ihn verhaften, nachdem Sie Ihre Sendung abgeliefert haben“, schlug Ardoss vor.

Ruskella hob eine Augenbraue.

„Fahren Sie fort“, bat die Copilotin.

„Sie sollen die Sendung nur abliefern, richtig?“, fragte Ardoss. „Mickey sagte nie etwas davon, seinen sicheren Weiterflug zu gewährleisten?“

„Das hat er nicht“, antwortete Ruskella, „aber er hat mir gesagt, ich solle Sie töten.“

„Aber das haben Sie nicht“, entgegnete Ardoss. „So oder so, Sie trotzen Ihrem Boss. Liefern Sie die Sendung ab, dann lassen Sie mich Pietro festnehmen. Auf diese Weise kriegen wir beide, was wir wollen.“

„Das ergibt Sinn, Jo“, bemerkte die Copilotin.

„Und wenn ich es nicht tue?“, fragte Ruskella.

„Dann werden Sie wegen Beihilfe verhaftet“, antwortete Ardoss. „Was glauben Sie, wird Mickey dann mit Ihnen machen? Helfen Sie mir und ich kann Sie beschützen.“

Ruskellas Nasenflügel weiteten sich und seine Zähne knirschten.

„Ich werde es in Betracht ziehen“, sagte er. „Helfen Sie uns und hintergehen Sie uns nicht und ich werde vielleicht tun, worum Sie mich bitten. Aber zuerst erobern wir das Schiff zurück.“

„Das ist fair“, erwiderte Ardoss. „Wie wollen Sie vorgehen?“

„Wir werfen sie aus dem Cockpit“, sagte Ruskella.

Ardoss hob eine Augenbraue. „Wirklich? Sie machen auf mich keinen gewalttätigen Eindruck.“

Ruskellas Gesicht errötete. „Es ist mein Schiff. Ich will es zurück.“

„Okay“, sagte Ardoss. „Sagen wir, Sie stürmen da rein und ziehen aus dem Sitz, wer auch immer darin sitzt. Oder versuchen es. Was dann?“

Ruskella blickte zum Boden. „Ich weiß nicht, wir sperren sie ein?“

„Und wenn sie sich wehren?“

„Ich habe gegen Sie gekämpft.“

„Und verloren.“

Ruskella starrte ihn zornig an, doch die Copilotin trat hervor.

„Ich werde es tun“, sagte sie.

„Ardoss schüttelte den Kopf. „Lassen Sie es mich machen.“

Pilot und Copilot sahen ihn mit erhobener Augenbraue an.

„Ich bin ein Agent“, sagte Ardoss. „Ich wurde für diese Situationen trainiert.“

Ruskella warf seiner Copilotin einen Blick zu.

Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat nicht Unrecht.“

„Wir geben Ihnen nicht die Pistole“, warnte Ruskella.

„Ich brauche sie nicht“, erwiderte Ardoss.

„Also gut“, gab der Pilot nach, „wie lautet der Plan?“

„Zunächst bringen wir in Erfahrung, was zum Henker da draußen vorgeht.“

„Nach Ihnen“, sagte die Copilotin mit einer Geste Richtung Tür. Ardoss nickte. Es war sein Plan, er würde vorangehen.

Er griff nach der Tür und drehte das Verschlussrad.

Es bewegte sich nicht.

Er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf, ohne Erfolg. „Sie klemmt.“

Die Copilotin schubste ihn zur Seite und drückte mit ihrem eigenen Gewicht gegen die Tür, während sich ihr Gesicht vor Anstrengung rötete. „Niemals klemmt das Ding“, sagte sie und drückte abermals. „Wir halten dieses Schiff in perfektem Zustand.“ Sie wertete die Unfähigkeit der Tür, sich zu bewegen, als persönlichen Affront.

Ein letztes Mal versuchte sie die Tür zu öffnen, bevor sie schließlich die Realität ihrer Situation akzeptierte. Sie blickte durch das Fenster.

„Ich sehe die Frau und den Jugendlichen“, sagte Ardoss, „aber kein Anzeichen vom Politiker. Ich schätze, wir wissen wer dahintersteckt.“

„Er sah nicht aus wie jemand, der ein Schiff entführen würde“, bemerkte Ruskella. „Wir nehmen nur an, dass es sich hierbei um eine Entführung handelt.“

„Die Tür ist verschlossen“, sagte Ardoss.

„Gutes Argument“, entgegnete sie. Sie klopfte an die Tür und blickte durch das Glas. Sie hämmerte auf sie ein. Nichts.

„Die Tür ist zu stark“, sagte sie. „Ich würde die Gegensprechanlage benutzen, aber das würde Thrumm, oder wer auch immer das Schiff gekapert hat, auf uns aufmerksam machen.“

„Der Notausstieg“, schlug Ruskella vor.

Die Copilotin sah ihn an und verengte ihre Augen.

„Wenn wir diesen Weg nehmen, muss einer von uns die Schleuse bedienen und einer dort rausgehen“, sagte sie. „Einer von uns wird mit dem Agenten alleine bleiben.“

„Ich kann das Cockpit zurückerobern“, sagte Ardoss.

Ruskella schüttelte seinen Kopf. „Ich kann nicht riskieren, dass Sie das Schiff übernehmen und uns hier eingesperrt lassen. Einer von und muss mitgehen.“

„Ich gehe“, sagte die Copilotin. „Ich habe mehr Training in der Schwerelosigkeit und er würde dich in den Schrank stecken, sobald ich gegangen bin.“

„Also gut“, gab Ruskella nach. „Je länger wir hier stehen und diskutieren, desto weiter kommen wir vom Kurs ab. Char, nimm den Agenten und erobere mein Schiff zurück.“

Ardoss konnte im Gesicht des Mannes erkennen, dass er lieber selbst gehen würde. Er musste viel Vertrauen in diese Frau haben. Ardoss wusste, wie es war, jemandem zu vertrauen, zu tun, was getan werden musste.

Aber dieses Gefühl war nun verschwunden, entrissen, als er von Pietros Machenschaften erfahren hatte. Zwanzig Jahre waren sie Partner gewesen und er hatte nie ein Wort gesagt, nicht mal einen Hinweis gegeben.

Die drei sicherten im Handumdrehen den Frachtraum. Dann half Ruskella Ardoss und seiner Copilotin in die Notfallraumanzüge.

„Moment, was ist mit Ihnen?“, fragte Ardoss. „Er gibt in diesem Frachtraum keinen Luftschild.

„Machen Sie sich um mich keine Sorgen“, entgegnete Ruskella.

Ardoss zog eine Augenbraue hoch.

„Ich habe alles vorbereitet“, sagte Ruskella. Er zeigte auf einen kleinen Sitz mit Gurten und einen Sauerstofftank direkt neben dem Bedienfeld. Der Sitz war von einer kleinen Kabine mit einer Tür umgeben, gerade groß genug für einen Menschen.

„Sie beide haben das schon einmal gemacht“, bemerkte Ardoss. „Muss sich um interessante Arbeit für Mickey handeln.“

„Die Copilotin sah Ruskella erbost an. „Nicht, dass ich wüsste.“

„Ruskella wurde knallrot – etwas Unausgesprochenes ging zwischen den beiden vor sich. Ruskella änderte das Thema. „Wir müssen uns beeilen.“

Ardoss nickte und setzte unter Mithilfe der anderen seinen Helm auf. Dieser rastete ein. Ardoss‘ Atem erwärmte das Innere und das Visier beschlug etwas. Das vertraute Zischen begann, gefolgt von einem klinischen, aber auch etwas muffigen Geruch von Sauerstoff, der in den Anzug einströmte. Er hustete einmal, als dieser seine Lungen füllte.

„Können Sie mich hören?“, fragte die Copilotin über die Gegensprechanlage des Anzugs.

„Klar und deutlich“, erwiderte Ardoss. „Ihr Name ist Char, richtig?“

Es dauerte einen Moment, bevor sie antwortete.

„Ja“, sagte sie. „Und nun halten Sie sich am Handlauf fest. Wir haben nur eine wirklich gute Chance, das zu bewerkstelligen.“

Er nickte, sich unmittelbar danach bewusst werdend, dass der Raumanzug einfache Gesten unkenntlich machte.

Char hielt sich am Handlauf fest und gab Ruskella den Daumen hoch. Ardoss machte es ihr gleich. Ruskella trug eine Sauerstoffmaske über seinem Gesicht und erwiderte die Geste, bevor er den Knopf auf der Konsole betätigte.

Das Vakuum riss an Ardoss. Er verlor das Gleichgewicht, klammerte sich jedoch mit der Hand am Handlauf fest. Gerade als seine Finger abzurutschen begannen, glich sich der Druck aus und der Luftstrom verringerte sich.

„Bereit?“, frage Char.

„Ja.“

Sie streckte ihren Arm aus dem Schiff und hielt sich an der Hülle fest. Ardoss folgte ihr.

Sobald sie draußen waren, schloss sich die Tür hinter ihnen. Ardoss konnte sich vorstellen, wie unangenehm es für Ruskella gerade sein musste. Eines war klar, es war mutig und geradezu gefährlich.

Plötzlich hielt er mehr von diesem Mann.

„Sie zwei sind sehr eng verbunden“, bemerkte Ardoss.

Char gab keinen Ton von sich.

„Ich schätze, das passiert“, fuhr er fort, „alleine hier draußen, nur Sie beide.“

Stille.

 „So war es bei Pietro und mir“, sagte er. „Oder zumindest dachte ich das. Zwanzig Jahre zusammen und ich hatte keine Ahnung, dass er für Mickey arbeitete. So ein Verrat stellt alles in Frage.“

„Das würde ich Jonah nicht antun“, entgegnete sie.

„Und was ist mit seiner Täuschung?“, fragte er. „Es ist offensichtlich, dass er mit Mickey zusammengearbeitet hat, ohne Ihnen etwas davon zu sagen.“

„Das musste er nicht“, erwiderte sie. „Ich wäre kein guter Partner, wenn ich nicht die kleinen Hinweise bemerkt hätte. Er hat es nicht erwähnt, also habe ich es nicht erwähnt. Wir kennen uns seit sechszehn Jahren, seit zehn arbeitet er für Mickey. Ich wusste es am Tag, an dem Mickey ihn ansprach.“

„Sind Sie beide…?“, frage Ardoss.

Sie lachte. „Natürlich nicht. Jonah ist verheiratet und hat drei Kinder. Ich habe ihn seiner Frau vorgestellt.“

„Das hält Menschen nicht davon ab, etwas Zweisamkeit zusammen zu genießen“, bemerkte er.

Er konnte den finsteren Blick, den sie ihm zugeworfen haben muss, geradezu spüren.

„Ich schulde ihm mehr, als Sie sich vorstellen können“, sagte sie. Jonah ist ein guter Mensch. Er würde nicht für Mickey arbeiten, wenn er eine Wahl hätte.“

„Sie meinen, er wurde genötigt?“, fragte er.

„Natürlich wurde er das“, antwortete sie. Das ist die Vorgehensweise von Mickey Black. Er findet etwas über dich heraus, etwas mit dem er dich erpressen kann und manipuliert dich für ihn zu arbeiten.“

Ardoss wollte weitere Fragen stellen, doch sie hatten das Cockpit erreicht.

„Das wird genauso sein, wie beim Frachtraum“, sagte sie. Sobald ich die Tür öffne, strömt die Luft aus der Kabine. Halten Sie sich irgendwo fest oder Sie können in den Weltraum geblasen werden.

„Verstanden“, erwiderte Ardoss.

Sie griff nach der Verriegelung und Ardoss sah sich nach einem Haken oder einer Stange oder irgendetwas anderem um, an dem er sich festhalten konnte. Da war eine kleine Leiste und er vergrub seine Finger darin.

„Bereit“, sagte er.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie den Griff und die Tür öffnete sich schlagartig. Luft rauschte an ihnen vorbei, was Ardoss‘ Hände von seinem Haltegriff losriss. Er versuchte nach etwas zu greifen, irgendetwas, doch er war bereits vom Schiff abgedriftet. Lebensmittelverpackungen, die aus dem Schiff geblasen worden waren, flogen um ihn herum.

Er starrte für einen Moment vor sich hin, während das Schiff immer kleiner wurde. Das Zischen der Druckluft in seinem Anzug war das einzige Geräusch. Langsam baute sich Panik in ihm auf, als er begriff, dass das Schiff nicht wieder näherkam. Das Schlagen seines eigenen Herzens und sein schneller Atem überdeckten das Geräusch des Sauerstoffs.

Auf seinem Display erleuchtete ein rotes Licht. Ihm ging der Sauerstoff aus. Diese Anzüge waren nicht für lange Außenbordeinsätze konzipiert. Ihm blieben nur noch Minuten. Ardoss kontrollierte seinen Atem. Er musste Sauerstoff sparen. Wenn er überleben wollte, musste er ruhig bleiben.

Das Schiff wurde immer kleiner und Ardoss konnte nicht anders als zu glauben, dass er nun sterben würde.

Fortsetzung folgt...