One Last Job Episode 1



Die Bar stank nach Sauerbier und Schiffstreibstoff. Es war eine beliebte Hafenkneipe, wobei Jonah sich nicht erklären konnte, warum. Seine Füße matschten über den verklebten Boden und ein verkrustetes Stück Etwas knirschte unter der Spitze seines Stiefels. Die Beleuchtung war schwach und der Barkeeper blickte ihn düster an, während er ein schmutziges Glas mit einem schmierigen Tuch abwischte.

Jonah setze sich auf einen wackeligen Plastikstuhl, der so aufgemacht war, als wäre er aus Holz. Der Tisch besaß einen großen Kratzer in seiner Mitte, wahrscheinlich entstanden durch ein Messer oder eine zerbrochene Flasche.

Die Augen des Barkeepers schnellten zum Eingang und seine Nasenflügel weiteten sich, als die Tür sich öffnete.

Jonah kam nur hierher, wenn er jemanden Treffen musste. Und es gab nur eine Person, die sich jemals hier mit ihm treffen wollte. Und in diesem Moment schuldete er dieser Person Geld. Viel Geld. Tatsächlich war er mit seinen Raten im Verzug. Jonah sackte in seinen Stuhl, während sich ein Unbehagen in ihm einstellte. Der Mann, den er gleich treffen würde, nahm verspätete Zahlungen persönlich.

Das würde wehtun.

„Na, schau mal einer an”, sagte Mickey „Gills“ Black. Er klapste Jonah auf den Rücken. Mickeys rechtes Auge wölbte aus seiner Augenhöhle heraus und seine Haut war fleckig und violett. Angeblich war er ohne Raumanzug in den Weltraum geblasen worden und hatte überlebt. Zugegeben, es war höchstens für eine Sekunde, doch es war genug, um sein Gesicht dauerhaft zu entstellen.

Jonah wünschte sich, Mickey wäre im Vakuum geblieben. Es hätte sein Leben so viel einfacher gemacht.

„Mickey“, sagte Jonah. Er versuchte heiter zu klingen, doch seine Stimme klang trotzdem verängstigt. Sie besaßen eine lange bestehende Geschäftsbeziehung, doch Jonahs Meinung von Mickey Black hatte sich mit der Zeit nicht zum Guten gewandt.

Mickey blaffte den Barkeeper an, welcher ihm einen ebenso finsteren Blick zuwarf, wie ihn Jonah erhalten hatte, und davonschlurfte.

„Kein Respekt“, bemerkte Mickey. „Seine Bar würde ohne mich gar nicht existieren. Werde ihn wohl daran erinnern müssen, aber nicht bevor ich eine schöne Unterhaltung mit meinem guten alten Freund Jonah geführt habe.“

Jonah schluckte. „Guter“ und „Freund“ waren nicht die Worte, die er wählen würde, aber er biss sich auf die Zunge.

„Wie läuft’s Jonah? Geschäfte gehen gut?“

“So gut, wie man erwarten kann”, antwortete Jonah, während er versuchte, seine Stimme in Schach zu halten.

„Nun gut, nun gut“, sagte Mickey. „Vermute, es könnte besser sein, ja?“

Mickey lehnte sich näher heran, darauf bedacht, Jonah sein halbzerstörtes Auge zuzuwenden. Jonah wich zurück. Mickey grinste nur und ließ sich mit einem Lachen zurück auf seinen Stuhl fallen.

Jonah lächelte ihn leicht an. „Es könnte immer besser sein.“ Er wählte seine Worte mit Bedacht. Er wollte ihm keine Vorlage geben. Dies war ein ihm wohlbekannter Tanz, einer den er und Mickey im letzten Jahrzehnt im Zuge ihrer Geschäfte bereits Dutzende Male miteinander getanzt hatten.

Der mürrische Barkeeper trottete herüber und ließ zwei Bier auf den Tisch fallen. Jonah versuchte ihm zu erklären, dass er keines wollte, doch der Mann war bereits gegangen, seine Schultern gebeugt und mit einem Murmeln auf den Lippen.

Mickey genehmigte sich einen großen Schluck und knallte den Krug auf den Tisch. „Wenn das nicht das ekelhafteste Glas Brackwasser ist, das ich je getrunken habe.“ Er spuckte auf den Boden und der Barkeeper sah ihn erbost an. Jonah wandte sich in seinem Unbehagen.  Der Mann hatte entweder ein kurzes Gedächtnis oder war Lebensmüde. Jeder andere hätte sich unter der Bar versteckt oder wäre angelaufen gekommen, um den Fleck aufzuwischen. Jonah machte sich langsam Sorgen um den Mann, doch Mickey lachte nur.

Jonah erschauderte und nippte an seinem Bier. Er verzog sein Gesicht. Es schmeckte sauer mit einem modrigen Nachgeschmack.

„Ich nehme an, du hast Arbeit für mich?”, fragte Jonah. Er hoffte wirklich, es war Arbeit und keine Schuldeneintreibung.

Mickey nahm noch einen Schluck Bier, welches von seinem Kinn herunterlief, und rückte seinen Stuhl um den Tisch, um sich dann auf Jonahs Schulter zu lehnen.

„Genau darum bin ich hier”, sagte er.

Jonah fühlte wie seine Schultern voller Erleichterung absackten und sich eine Verspannung in ihnen löste. Vielleicht würde es ja doch nicht so schmerzhaft werden.

„Sehr, sehr simpel”, sagte Mickey. „Du musst einfach nur etwas leichte Fracht transportieren, Versorgungsgüter und dergleichen. Du nimmst sie auf deinem nächsten Flug mit, änderst deine Route, triffst dich mit dem Kunden, übergibst ihm die Ware und gehst deiner Wege. Dafür erlassen wir deine Schulden bei mir, sagen wir, um fünftausend?“

Jonahs Bauch krümmte sich. Fünftausend war sehr großzügig für einen einfachen Auftrag. Doch wenn Mickey einfach sagte, war es üblicherweise alles, nur nicht einfach.

„Wo ist der Haken?“, fragte Jonah.

„Kein Haken“, antwortete Mickey. „Nur ein Transport.“

Jonahs verengte seine Lippen. „Wer ist der Kunde?“

„Es ist wirklich nur ein einfacher Transport“, versicherte Mickey. „Ich schwöre beim Leben meiner Mutter.“

„Dir traue ich zu, deine Mutter umgebracht zu haben.“ „Wer ist der Kunde?“

„Ein alter Freund von dir“, sagte Mickey. „Pietro.“

Ein kalter Schweiß verbreitete sich auf Jonahs Haut. Pietro war ein alter Bekannter, aber sicher niemand, den er einen Freund nennen würde. Wenn überhaupt, waren sie Kollegen in Mickeys Netzwerk aus Spionen und Kurieren – Pietro war ein Spion.

Pietro Marquez war ein in Ungnade gefallener Agent der Advocacy. Sein alter Partner hatte herausgefunden, dass er für Mickey arbeitete und die Situation wurde unschön. Kürzlich war Pietro während seiner Flucht vor der Advocacy auf einem Pfad der Zerstörung gewesen und befand sich nun ganz oben auf ihrer Liste der Meistgesuchten. Sein Bild war überall.

„Nein“, sagte Jonah. „Ich werde es nicht tun, er ist momentan zu heiß.” Jonah versuchte aufzustehen, aber Mickey packte ihn beim Arm.

„Ich habe mir schon gedacht, dass dies deine Antwort sein würde“, sagte Mickey. „Wie ich es sehe, hast du bei mir Schulden und bist in Verzug.“

Die Verspannung in seinen Schultern war zurück und zog mehr als zuvor. Jonah wäre der Schmerz einer Geldeintreibung fast lieber gewesen als das Chaos, das Pietro Marquez mit sich bringt.

„Ich gebe es dir in ein paar Tagen, wirklich“, versicherte Jonah. „Ich hätte es früher gehabt, aber meine älteste Tochter, sie ist krank geworden. Musste für einen Besuch in der Krankenstation aufkommen. Du bekommst es Ende der Woche, spätestens.“

„So ein guter Vater. Es wäre eine Schande, wenn die Mädels ohne dich aufwachsen müssten”, entgegnete Mickey.

Jonah sank auf seinen Stuhl zurück, seine Augen fixiert auf die Hand, die seinen Arm festhielt. Er konnte keinen Auftrag ausschlagen und hatte es auch nie versucht, aber das war einfach zu viel.

„Pietro kennt dich“, sagte Mickey. „Er vertraut dir. Und ich vertraue dir. Wir wissen beide, du wirst ihm bringen, was er braucht. Er hat dich direkt angefordert. Deinen Namen genannt. Er hält sehr viel von dir.”

Jonah bezweifelte das. Das letzte Mal, als sie zusammengearbeitet hatten, nannte Pietro ihn einen rückgratlosen Schoßhund. Und angesichts dessen, zu was er sich gleich bereiterklären würde, hatte Pietro wahrscheinlich recht.

„Tu mir diesen Gefallen“, sagte Mickey, „und deine Schuld ist getilgt. Du wirst frei sein und musst nie wieder einen Auftrag für mich erledigen.“

Jonah blickte auf, um Mickey direkt ins Gesicht zu blicken, trotz des ausgebeulten Auges und all den anderen Entstellungen.

„Ich gebe dir mein Wort“, sagte Mickey. „Und du kennst mich. Ich halte mich an mein Wort, oder nicht?“

„Das tust du”, erwiderte Jonah niedergeschlagen. Sein ganzer Körper sagte ihm, dass die Annahme dieses Auftrags ein Fehler war, doch er konnte sich die Chance, ein für alle Mal von Mickey wegzukommen, nicht entgehen lassen.

„Okay“, sagte Jonah. „Ich werde es tun.“

Ein Grinsen verbreitete sich auf Mickeys Gesicht. „Fantastisch! Hand drauf?“

Jonah nickte und ergriff Mickeys ausgestreckte Hand.

„Ich bin dir dankbar, Kumpel“, sagte Mickey. „Wirklich.“

Er drückte Jonahs Hand fester.

„Auf der anderen Seite, wenn du den Auftrag nicht erledigst oder beschließt, dass es besser für dich wäre, zu fliehen, werde ich meine Schulden eintreiben. Verstanden?“

Jonah schluckte und nickte.

„Ich habe dich nicht verstanden“, sagte Mickey.

„Ich verstehe“, antwortete Jonah.

„Gut“, sagte Mickey. Er ließ Jonahs Hand los und klapste ihm auf die Schulter. „Ich werde alle Details und die Fracht zu deinem Schiff schicken.“ Er trank sein Bier aus und entfernte sich vom Tisch.

Jonah sah mit an, wie er zur Bar hinüberging, drüber sprang und den Barkeeper zu einer blutigen Masse schlug. Mehrere der anderen Gäste taten so, als würde nichts passieren, doch Jonah sah es sich an. Er sah sich jeden brutalen Moment an.

Überzeugt, dass seine Nachricht verstanden worden war, stand Mickey auf, wusch seine Hände im Eiskübel und kletterte ohne ein Wort zu verlieren wieder über die Bar. Mit einem Pfeifen auf seinen Lippen schlenderte er durch den Ausgang.

Jonah, dessen Mund plötzlich trocken war, nahm noch einen Schluck Bier und entfernte sich vom Tisch. Langsam ging er zur Bar. Sein Magen verkrampfte. Er blickte hinüber.

Der Barkeeper lag in einer Pfütze aus Bier und anderen Flüssigkeiten. Sein Gesicht war ein blutiges Etwas und er würde wahrscheinlich Gesichtsrekonstruktion benötigen. Er ächzte und kauerte sich zusammen wie ein Fötus. Der Mann würde leben, doch er würde niemals vergessen, dass man Mickey „Gills” Black nicht verärgert.

„Du hast Flugverbot, Ardoss.”

Ardoss blickte von seinem Pilotenkoffer auf und sah wie sich Junior Director Vami über seinen Schreibtisch lehnte. Ihr dunkles Haar war zu einem akkuraten Dutt hochgesteckt. Sie trug einen taubengrauen, altmodischen Hosenanzug mit holzkohlefarbenen Nadelstreifen.

Er fuhr mit dem Packen fort. Er war dieses Melodrama bereits gewöhnt. Ihr Aussehen nahm er nur aus Gewohnheit zur Kenntnis. Ein Agent der Advocacy musste sich seiner Umgebung stets bewusst sein, egal wie profan oder gewöhnlich sie auch war.

„Mach keine Drohungen, die du nicht einhalten kannst“, sagte er, während er seine Waffe prüfte.

„Das ist keine Drohung“, entgegnete sie. „Du bist erledigt. Vorzeitiger Ruhestand.“

Sie berührte ihr mobiGlas und ein Formular erschien auf seinem Display.

Ardoss blinzelte. „Ruhestand? Ich habe noch zwei Jahre vor mir.”

„Deine letzte Mission entgleiste zu einem blindwütigen Feuergefecht, das eine Person tötete und acht weitere verletzte. Ganz zu schweigen von den Schäden in Millionenhöhe, die du verursacht hast. Ich weiß nicht, ob dieses Shoppingcenter jemals wieder seinen Betrieb aufnehmen wird. Ich habe mindestens einhundert Beschwerden erhalten, von Geschäftsinhabern, dem Stadtrat, Bürgergruppen, es war alles dabei. Das ist ein Schlammassel. Und obendrein ist dein Ziel entwischt.“

Ardoss leckte seine Lippen. „Ich bin sehr nah dran. Er versteckt sich bei Banditen, welche ihm einen sicheren Hafen bieten. Doch ich kenne seine Geschäftspartner. Ich kenne seine Freunde. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich ihn finde.“

„Es ist mir egal, selbst wenn du ihn in deinem Schreibtisch eingeschlossen hast, du bist raus. Du hast deine Befehle.“

„Einfach so“, sagte Ardoss. „Du würdest meine Karriere zerstören. Weil Pietro einer von uns war? Ich wusste es nicht. Wie hätte ich es wissen können?”

Sie legte ihre Hände auf den Tisch und lehnte sich vor. „Du konntest es nicht wissen. Es geht nicht darum, was passiert ist, sondern darum, wie du damit umgegangen bist. Es ist jemand im Kreuzfeuer gestorben. Du hast die Sicherheit der Menschen um dich herum ignoriert. Die hohen Tiere wollten dich sofort feuern.“

„Es ist bereits in der Vergangenheit vorgekommen“, sagte er, „bei anderen Agenten.“

„Es ist dir passiert“, entgegnete sie. „Du bist zu bekannt. Die Ergreifung von Pietro hat Priorität. Für die Behörde ist es ein schwarzer Fleck auf ihrer Reputation. Ich versuche dir zu helfen, Ardoss. Überlass es einem anderen.“

„Du möchtest Abteilungsleiter werden“, sagte er.

Vami entfernte sich vom Tisch und drehte sich um. Sie sah ihn von der Seite an und schüttelte ihren Kopf.

„Meine Sorge gilt dem Image des Büros, der Sicherheit seiner Agenten und den Menschen, die wir beschützen sollen.“

„Sicher“, entgegnete er. „Es sieht nicht gut aus, wenn sich einer deiner Agenten als Ratte herausstellt. Du möchtest deinen Bossen zeigen, dass du alles unter Kontrolle hast.“

„Es ist jemand gestorben, Ardoss.“

„Und wie viele Menschen, glaubst du, hat Pietro getötet, während er uns für Mickey Black ausspioniert hat?“, fragte Ardoss.

Vami senkte ihren Kopf. „Du lässt es persönlich werden.“

„Es ist persönlich”, erwiderte Ardoss. „Pietro Marquez war mein Partner. Ich hätte es früher sehen sollen. Lass es mich erledigen, Vami, diese eine letzte Festnahme. Wenn er es in den Raum der Banu schafft, finden wir ihn nie wieder.“

Sie griff sich an ihren Nasenrücken und seufzte. „Du weißt doch noch nicht einmal, wo er sich befindet.“

„Nein, noch nicht“, insistierte Ardoss, „doch ich habe ihm seine Flucht vermasselt, als ich seinen Verrat aufgedeckt habe. Das Schiff, in dem er fliehen wollte, wurde beschädigt. Alles was er nun hat, ist sein Advocacy-Schiff. Seine Schiffs-ID ist noch immer aktiv und ich weiß, dass er zu Black zurückgekehrt ist. Ich habe mit ein paar Informanten gesprochen. Black hat ihm ein Versteck zur Verfügung gestellt, in dem er untertauchen wird, bis er seine ID austauschen oder sich ein neues Schiff organisieren kann. Vertrau mir, ich kann ihn finden.“

Vami ließ sich auf den Stuhl auf der anderen Seite von Ardoss’ Schreibtisch fallen. „Gib mir all die Informationen, die du gesammelt hast, und wir werden den Fall an jemand anderen weitergeben. Du bist zu sehr involviert.“

„Genau. Ich habe ihn trainiert, Vami”, entgegnete Ardoss. „Zwanzig Jahre haben wir zusammen gearbeitet, Seite an Seite auf hunderten von Missionen. Ich kenne Pietro besser als jeder andere in dieser Organisation. Ich habe es zuvor nicht gesehen, aber jetzt weiß ich, wonach ich suchen muss. Es gibt einen Frachtpiloten, Jonah Ruskella, mir ist sein Name an verschiedenen Stellen aufgefallen.“

Vami zuckte mit den Schultern. „Sie sind Saufkumpanen, na und?“

„Nein“, sagte Ardoss. „Ruskella ist ein Kurier für Mickey Black. Sie wurden zusammen gesehen. Die Info kommt von drei verschiedenen Quellen.”

„Okay, aber was hat das mit Pietro zu tun?”, fragte Vami.

„Sie sagen, dass Ruskella in den nächsten vierundzwanzig Stunden Ausrüstung und Versorgungsgüter für Mickey transportieren wird.“

Vami verschränkte ihre Arme und drückte ihre Lippen zusammen. „Das ist viel Spekulation, Ardoss. Sehr viel.“

„Einen anderen Hinweis habe ich nicht“, sagte er. „Ich könnte die Sprungpunkte in den Raum der Banu beschatten, in der Hoffnung auf etwas Glück, oder ich folge diesem Hinweis.“

„Du setzt voraus, dass ich dich lasse“, entgegnete sie.

„Tu mir das nicht an, Vami“, flehte er sie an. „Lass meine Karriere nicht so enden. Lass sie mich selbst beenden mit einer letzten Festnahme.“

Sie ließ ihre Arme herabfallen. „Selbst wenn deine Information korrekt ist…“

„Sie ist korrekt“, antwortete er. „Diese Leute würden mich nicht anlügen. Nicht bei dem, was ich ihnen zahle.“

Sie biss ihre Zähne zusammen.

„Ich brauche das“, sagte er.

Sie seufzte. „Ich möchte keine Wiederholung der Situation im Einkaufszentrum. Sieh zu, dass alles ruhig bleibt.“

„Wird gemacht“, sagte er. „Ich werde unerkannt Ruskellas Schiff besteigen, ihm zum Rendezvous mit Pietro folgen und die Festnahme vornehmen.“

„Einfach so?“, fragte sie.

„Einfach so.“

„Und wenn der Transport nicht für Pietro bestimmt ist?“

Er zuckte mit den Schultern. „Dann finde ich einen anderen Hinweis.“

„Nein, dass wirst du nicht“, sagte sie stehend. „Das ist deine einzige Chance. Du besteigst das Schiff und suchst nach deinem alten Partner. Wenn du Pietro nicht findest, kommst du zurück.“

Er knirschte mit den Zähnen. Er vertraute seinem Gespür. Er durfte einfach nicht falsch liegen. Vamis Zweifel konnte er jetzt nicht gebrauchen. Es musste einfach klappen. Es gab keine Alternativen.

„Also gut”, sagte er.

„Ich möchte etwas absolut klarstellen“, sagte sie. Wenn jemand stirbt – versehentlich oder nicht – gibt es Schäden oder irgendwelche Beschwerden und du kannst dich von deinem Ruhestand verabschieden. Du wirst dich in einer Zelle wiederfinden.“

„Verstanden“, sagte Ardoss, während sich seine Nasenflügel weiteten.

So würde es also sein. Er konnte damit leben. Alles, was er wollte, war Pierto Marquez. Er wollte ihn fragen, warum. Er wollte verstehen. Doch er bezweifelte, dass er es jemals würde.

Jonah starrte mit zitternden Händen auf das Ladungsverzeichnis. Es sollte nur Fracht sein, keine Passagiere dieses Mal. Doch da waren sie aufgelistet, und zwar vier.

Er ging zu seinem Chef, dem Hafenmeister.

„Auf diesem Flug sollte es keine Passagiere geben“, sagte er. Er schlug das Ladungsverzeichnis auf den Schreibtisch des Mannes.

Hafenmeister Haru blickte ihn durch seine wässrigen, runzeligen Augen an. Haru – ein WiDoW-Junkie, der sich nicht bemühte, es zu verbergen – war groß und drahtig. Seine verfärbten schwarzen Venen ließen seine Arme aussehen, als wären sie verseucht. Die Spinnentatoos taten ihr Übriges. Jonah hatte nur ein einziges Mal eine Spinne gesehen, doch die Erinnerung hatte sich in sein Gehirn eingebrannt. Sie gelangte an Bord über Fracht von der Erde. Er hatte bereits andere Insekten von anderen Planeten gesehen. Aber diese Spinne war es, die ihm Alpträume verursachte. Zu viele Beine. Char, seine Copilotin, sagte ihm, er solle sich bei Gelegenheit einen Tausendfüßler ansehen. Jonah war davon nicht begeistert.

Haru legte seine furchterregenden Hände auf den klapprigen Schreibtisch und drückte sich hoch. Er leckte seine dünnen und faltenwerfenden Lippen. „Du hast Passagiere, wenn ich dir sage, du hast Passagiere.“

Haru war ein Bully. Er hatte den Ruf, Gehälter zurückzuhalten, Schiffen die Abflugerlaubnis zu verweigern und Piloten zu suspendieren, nur weil sie ihn verärgert hatten. Jonah musste mit Bedacht agieren.

„Ich fliege in vier Stunden ab“, sagte er. „Ich habe keine Zeit, mich auf Passagiere einzurichten.“

„Dann flieg in fünf Stunden ab“, entgegnete Haru. „Mir ist es wirklich egal, wann du verschwindest, solange du alles auf dem Ladungsverzeichnis mitnimmst.“ Er hob eine unbehaarte Augenbraue und starrte Jonah an.

Er konnte nicht in fünf Stunden abfliegen, er hatte einen Zeitplan einzuhalten. Haru war das egal und Jonah wollte Mickey nicht erklären müssen, warum sich dessen Lieferung verspätete.

„Ich werde in vier Stunden abfliegen“, sagte Jonah mit hängenden Schultern. „Ich werde den Zeitplan einhalten.“

Haru lächelte. „Ausgezeichnete Neuigkeiten. Ich werde dem Zielhafen mitteilen, dass sie dich zur gewohnten Zeit erwarten können.”

Jonah gab seinem Chef ein angespanntes Lächeln. Haru war fast so schlimm wie Mickey. Der einzige Unterschied war, dass Haru einen nicht für Ungehorsam zu Mus schlagen oder in den Weltraum werfen würde.

Hätte Jonah das Geld, könnte er sich selbstständig machen. Dann könnte er Haru sagen, ob er Passagiere mitnimmt oder nicht. Wie die Dinge aber lagen, gingen all seine überschüssigen Credits an Mickey oder einen Treuhandfonds für seine Kinder. Es war nicht viel, aber sie sollten ein besseres Leben haben als er.

Doch das würde sich nach diesem Auftrag ändern. Jonah wäre in der Lage, sein eigenes Unternehmen aufzubauen und von Haru und Mickey wegzukommen.

Vorausgesetzt natürlich, Mickey hält sein Wort.

Er wandte sich von Haru ab und eilte zu seinem Schiff, der Open Sky. Vor seinem Abflug hatte er noch einiges vorzubereiten. Die Luftschleuse sichern, den Passagierbereich säubern, Nahrungsmittel für die Reise organisieren. Das alles kostete Zeit. Üblicherweise war für Passagierlisten eine vierundzwanzigstündige Vorankündigung Standard, doch Jonah konnte nicht allzu überrascht sein, da Haru immer so einen Scheiß abzog. Wenn man dem Mann genug Credits gab, würde er so ziemlich jede Regel ignorieren.

Jonah betrat sein Schiff und ging schnurstracks zum Cockpit.

„Wir haben Passagiere“, sagte er außer Atem, während er sich durch den Eingang drückte.

„Ich weiß“, antwortete Char, ohne von ihrer Vorflugkontrollliste aufzuschauen. Ihr schwarzes langes Haar war locker zusammengebunden. Ein paar graue Strähnen lugten aus der Masse hervor und verschmolzen mit ihrem silbernen Overall.

Jonah seufzte; sie wusste immer Bescheid. Nach über einem Jahrzehnt des Zusammenfliegens konnte sich Jonah nicht an ein einziges Mal erinnern, an dem seine Copilotin überrascht war.

„Irgend so ein unwichtiger Politiker war vor einer Stunde hier und machte einen riesen Wirbel um seine Reisevorkehrungen“, sagte sie. „Verlangte eine Privatkabine und hielt mir sein mobiGlas ins Gesicht, um mir irgendein Dokument über seine bevorzugte Behandlung zu zeigen.“ Sie lachte. „Als ob wir ein Starliner wären.“

Ein Bürokrat, egal wie unwichtig, war genau der Typ, für den sich Haru ein Bein ausreißen würde, um ihm gefällig zu sein. Das erklärte einiges. Jonah gefiel es trotzdem nicht. Es erschwerte ihm seine Arbeit.

„Was hast du ihm gesagt?”, fragte er.

Sie lachte abermals. „Ich habe ihn zu unserer „VIP-Lounge“ geschickt und ihn gebeten, zurückzukommen, sobald wir zum Einsteigen aufrufen. Wenn er sich nur so ein kleines Schiff wie das unsrige leisten kann, dann bekommt er, was wir ihm geben.“

„Wir haben keine VIP-Lounge“, sagte Jonah.

„Das weiß er jetzt“, antwortete Char. „Er sitzt wahrscheinlich immer noch in diesem Pausenraum.“

„Was ist mit den anderen Passagieren?“, fragte Jonah.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, einer ist eine Geschäftsfrau. Ich hab sie nicht getroffen, aber in ihrer Dokumentation konnte ich nichts Alarmierendes feststellen. Ein weiterer ist ein neunzehnjähriger Bursche. Er sucht da draußen wahrscheinlich nach Arbeit oder besucht seine Familie.“

Schien sicher. Sie würden wahrscheinlich nicht im Weg stehen.

„Was ist mit dem vierten?“, frage Jonah.

„Ein Pensionär“, antwortete sie. „Ein alter Kauz, wahrscheinlich auf Urlausreise. Es sollte ein Kinderspiel werden. Ich habe bereits die Essenspakete bestellt und ein paar Reinigungskräfte von einem der größeren Schiffe angefordert. Wir werden den Zeitplan einhalten.“

„Was würde ich nur ohne dich machen, Char“, sagte Jonah.

Sie grinste ihn breit an. „Wahrscheinlich würdest du im Vakuum sterben oder von einem Piraten ermordet werden.“

Das konnte immer noch passieren.

„Ich habe im Hafen eine paar Pakete für dich angenommen“, sagte er. „Sieht so aus, als wäre es Zeugs von deiner Schwester.“

„Oh man, was will sie nun wieder?“, fragte Char.

Jonah zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, du wirst sie öffnen müssen. Ach ja, ich habe auf dem Markt auch etwas Lakritze gefunden.“ Er wühlte in seiner Tasche und zog ein kleines in Plastik versiegeltes Päckchen heraus.“

Chars Augen leuchteten auf. „Wunder gibt es immer wieder.“ Sie riss das Päckchen auf und nahm sich ein Stück. Sie steckte es sich in den Mund und schloss ihre Augen.

„So lecker.“

Er verzog das Gesicht. „Wenn du es sagst.“

Sie grinste. „Mehr für mich.”

„Wir müssen vor unserem letzten Halt einen Umweg machen“, sagte er.

„Wieder ein Nebenauftrag?“, fragte sie.

„Ja“, antwortete er. Er hatte Char niemals von Mickey erzählt, er wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie war ein Ex-Militär, konnte also wahrscheinlich auf sich aufpassen. Aber er schätzte sie zu sehr, um zuzulassen, dass sie sich ihre Hände schmutzig macht. Nachdem sie sechszehn Jahre miteinander geflogen waren, war Char seine älteste und liebste Freundin. Und es gab einfach Dinge, die man seinen Freunden nicht antat. Mickey Black war eines dieser Dinge.

Sie schlossen die Flugvorbereitungen mit der Hilfe von einigen Tagelöhnern ab und ließen die Passagiere eine halbe Stunde vor dem Zeitplan einsteigen.

Der Politiker, ein Mann namens Nickolas Thrumm, war genauso übel, wie Char gesagt hatte.

Er war ein schmieriger Mann mit aalglattem Haar, manikürten Händen und einem teuren Anzug. Er trug ein Ledergepäck und roch nach Holz. Char meinte, es wäre Sandelholz, wohl eine seltene Baumart oder so.

Thrumm blickte das Schiff missbilligend an.

„Es ist so klein“, bemerkte er.

Char zuckte mit den Schultern. „Es ist ein kleines Schiff.“

Er schaute zum Passagierbereich hinüber.

„Und eng.“ Seine Stimme erhielt einen nasalen Ton, der Jonah zusammenzucken ließ.

„Wo ist meine Kabine?“, fragte Thrumm.

„Es gibt keine Privatkabinen“, entgegnete Jonah.

„Der Passagierbereich ist gar nicht so schlecht”, sagte Char. „Die Sitze sind voll verstellbar und Sie haben Ihren eigenen Stauraum für Ihr Gepäck. Es gibt sogar Schlafnetze für die Schwerelosigkeit.“

„Ich muss hier draußen schlafen?“, frage Thrumm.

Char zuckte mit den Schultern. „Etwas Besseres haben wir nicht. Wenn es Ihnen nicht gefällt, hätten Sie es sich überlegen sollen, bevor Sie einen Flug auf einem so kleinen Schiff gebucht haben. Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir gerne das Boarding abschließen.“

Thrumm ging beleidigt von dannen und sie hießen die restlichen Passagiere willkommen.

Der Teenager – ein junger Mann, der einfach nur Mitt hieß – grunzte sie an und suchte sich einen Platz im hinteren Bereich. Die Geschäftsfrau, eine Winoana Crim, setzte sich neben den Jugendlichen. Sie nahm Char und Jonah nicht einmal wahr. Sie setzte sich mit einem Seufzen, kramte in ihrer Tasche und holte ein Fläschchen mit Pillen heraus. Sie schluckte eine Handvoll und lehnte sich mit einem verkniffenen Blick zurück, der sagte, sie wäre lieber irgendwo anders als auf diesem Schiff.

„Die fliegt nicht gerne”, bemerkte Char.

Jonah nickte zustimmend.

Der letzte Passagier, der Pensionär, war ein knorriger Mann. Er hatte weißes Haar und ihm fehlte ein Teil seines rechten Ohrs. Der Name auf der Passagierliste lautete Tom White. Er setzte sich gegenüber von Thrumm.

„Das sind alle“, sagte Jonah. „Schnallen Sie sich an. Wir werden abfliegen, sobald die Flugkontrolle uns die Startfreigabe erteilt hat.“

Die Passagiere waren still, als sich Jonah und Char in das Cockpit begaben. Alles war bereit und kurze Zeit später erhielten sie die Startfreigabe. Sie entfernten sich vom Raumhafen und gaben die Koordinaten zum Sprungpunkt ein. Jonah übergab an den Autopiloten und sah hinter sich, um zu sehen, ob die Passagiere angeschnallt waren.

Thrumm starrte den Pensionär, White, an.

„Sie kommen mir bekannt vor“, bemerkte Thrumm.

„Ich habe eines dieser Gesichter“, entgegnete White. „Das passiert mir ständig.“

„Nein“, insistierte Thrumm mit einem Kopfschütteln. „Ich habe sie schon einmal gesehen. Sie waren in einem Spectrumsbericht, nicht wahr?“

White lächelte. „Schön wär‘s.“

„Genau!“, sagte Thrumm. „Ich habe Sie in den Nachrichten gesehen. Sie sind ein Agent der Advocacy, oder? Ardoss war der Name.“

Jonah fühlte, wie all sein Blut aus seinem Gesicht abfloss und drehte sich zurück zu seiner Konsole. Ardoss. Das war der Name von Pietros Partner. Er war erledigt.