Die Bar stank nach Sauerbier und Schiffstreibstoff. Es war eine beliebte Hafenkneipe, wobei Jonah sich nicht erklären konnte, warum. Seine Füße matschten über den verklebten Boden und ein verkrustetes Stück Etwas knirschte unter der Spitze seines Stiefels. Die Beleuchtung war schwach und der Barkeeper blickte ihn düster an, während er ein schmutziges Glas mit einem schmierigen Tuch abwischte.
Jonah setze sich auf einen wackeligen Plastikstuhl, der so aufgemacht war, als wäre er aus Holz. Der Tisch besaß einen großen Kratzer in seiner Mitte, wahrscheinlich entstanden durch ein Messer oder eine zerbrochene Flasche.
Die Augen des Barkeepers schnellten zum Eingang und seine Nasenflügel weiteten sich, als die Tür sich öffnete.
Jonah kam nur hierher, wenn er jemanden Treffen musste. Und es gab nur eine Person, die sich jemals hier mit ihm treffen wollte. Und in diesem Moment schuldete er dieser Person Geld. Viel Geld. Tatsächlich war er mit seinen Raten im Verzug. Jonah sackte in seinen Stuhl, während sich ein Unbehagen in ihm einstellte. Der Mann, den er gleich treffen würde, nahm verspätete Zahlungen persönlich.
Das würde wehtun.
„Na, schau mal einer an”, sagte Mickey „Gills“ Black. Er klapste Jonah auf den Rücken. Mickeys rechtes Auge wölbte aus seiner Augenhöhle heraus und seine Haut war fleckig und violett. Angeblich war er ohne Raumanzug in den Weltraum geblasen worden und hatte überlebt. Zugegeben, es war höchstens für eine Sekunde, doch es war genug, um sein Gesicht dauerhaft zu entstellen.
Jonah wünschte sich, Mickey wäre im Vakuum geblieben. Es hätte sein Leben so viel einfacher gemacht.
„Mickey“, sagte Jonah. Er versuchte heiter zu klingen, doch seine Stimme klang trotzdem verängstigt. Sie besaßen eine lange bestehende Geschäftsbeziehung, doch Jonahs Meinung von Mickey Black hatte sich mit der Zeit nicht zum Guten gewandt.
Mickey blaffte den Barkeeper an, welcher ihm einen ebenso finsteren Blick zuwarf, wie ihn Jonah erhalten hatte, und davonschlurfte.
„Kein Respekt“, bemerkte Mickey. „Seine Bar würde ohne mich gar nicht existieren. Werde ihn wohl daran erinnern müssen, aber nicht bevor ich eine schöne Unterhaltung mit meinem guten alten Freund Jonah geführt habe.“
Jonah schluckte. „Guter“ und „Freund“ waren nicht die Worte, die er wählen würde, aber er biss sich auf die Zunge.
„Wie läuft’s Jonah? Geschäfte gehen gut?“
“So gut, wie man erwarten kann”, antwortete Jonah, während er versuchte, seine Stimme in Schach zu halten.
„Nun gut, nun gut“, sagte Mickey. „Vermute, es könnte besser sein, ja?“
Mickey lehnte sich näher heran, darauf bedacht, Jonah sein halbzerstörtes Auge zuzuwenden. Jonah wich zurück. Mickey grinste nur und ließ sich mit einem Lachen zurück auf seinen Stuhl fallen.
Jonah lächelte ihn leicht an. „Es könnte immer besser sein.“ Er wählte seine Worte mit Bedacht. Er wollte ihm keine Vorlage geben. Dies war ein ihm wohlbekannter Tanz, einer den er und Mickey im letzten Jahrzehnt im Zuge ihrer Geschäfte bereits Dutzende Male miteinander getanzt hatten.
Der mürrische Barkeeper trottete herüber und ließ zwei Bier auf den Tisch fallen. Jonah versuchte ihm zu erklären, dass er keines wollte, doch der Mann war bereits gegangen, seine Schultern gebeugt und mit einem Murmeln auf den Lippen.
Mickey genehmigte sich einen großen Schluck und knallte den Krug auf den Tisch. „Wenn das nicht das ekelhafteste Glas Brackwasser ist, das ich je getrunken habe.“ Er spuckte auf den Boden und der Barkeeper sah ihn erbost an. Jonah wandte sich in seinem Unbehagen. Der Mann hatte entweder ein kurzes Gedächtnis oder war Lebensmüde. Jeder andere hätte sich unter der Bar versteckt oder wäre angelaufen gekommen, um den Fleck aufzuwischen. Jonah machte sich langsam Sorgen um den Mann, doch Mickey lachte nur.
Jonah erschauderte und nippte an seinem Bier. Er verzog sein Gesicht. Es schmeckte sauer mit einem modrigen Nachgeschmack.
„Ich nehme an, du hast Arbeit für mich?”, fragte Jonah. Er hoffte wirklich, es war Arbeit und keine Schuldeneintreibung.
Mickey nahm noch einen Schluck Bier, welches von seinem Kinn herunterlief, und rückte seinen Stuhl um den Tisch, um sich dann auf Jonahs Schulter zu lehnen.
„Genau darum bin ich hier”, sagte er.
Jonah fühlte wie seine Schultern voller Erleichterung absackten und sich eine Verspannung in ihnen löste. Vielleicht würde es ja doch nicht so schmerzhaft werden.
„Sehr, sehr simpel”, sagte Mickey. „Du musst einfach nur etwas leichte Fracht transportieren, Versorgungsgüter und dergleichen. Du nimmst sie auf deinem nächsten Flug mit, änderst deine Route, triffst dich mit dem Kunden, übergibst ihm die Ware und gehst deiner Wege. Dafür erlassen wir deine Schulden bei mir, sagen wir, um fünftausend?“
Jonahs Bauch krümmte sich. Fünftausend war sehr großzügig für einen einfachen Auftrag. Doch wenn Mickey einfach sagte, war es üblicherweise alles, nur nicht einfach.
„Wo ist der Haken?“, fragte Jonah.
„Kein Haken“, antwortete Mickey. „Nur ein Transport.“
Jonahs verengte seine Lippen. „Wer ist der Kunde?“
„Es ist wirklich nur ein einfacher Transport“, versicherte Mickey. „Ich schwöre beim Leben meiner Mutter.“
„Dir traue ich zu, deine Mutter umgebracht zu haben.“ „Wer ist der Kunde?“
„Ein alter Freund von dir“, sagte Mickey. „Pietro.“
Ein kalter Schweiß verbreitete sich auf Jonahs Haut. Pietro war ein alter Bekannter, aber sicher niemand, den er einen Freund nennen würde. Wenn überhaupt, waren sie Kollegen in Mickeys Netzwerk aus Spionen und Kurieren – Pietro war ein Spion.
Pietro Marquez war ein in Ungnade gefallener Agent der Advocacy. Sein alter Partner hatte herausgefunden, dass er für Mickey arbeitete und die Situation wurde unschön. Kürzlich war Pietro während seiner Flucht vor der Advocacy auf einem Pfad der Zerstörung gewesen und befand sich nun ganz oben auf ihrer Liste der Meistgesuchten. Sein Bild war überall.
„Nein“, sagte Jonah. „Ich werde es nicht tun, er ist momentan zu heiß.” Jonah versuchte aufzustehen, aber Mickey packte ihn beim Arm.
„Ich habe mir schon gedacht, dass dies deine Antwort sein würde“, sagte Mickey. „Wie ich es sehe, hast du bei mir Schulden und bist in Verzug.“
Die Verspannung in seinen Schultern war zurück und zog mehr als zuvor. Jonah wäre der Schmerz einer Geldeintreibung fast lieber gewesen als das Chaos, das Pietro Marquez mit sich bringt.
„Ich gebe es dir in ein paar Tagen, wirklich“, versicherte Jonah. „Ich hätte es früher gehabt, aber meine älteste Tochter, sie ist krank geworden. Musste für einen Besuch in der Krankenstation aufkommen. Du bekommst es Ende der Woche, spätestens.“
„So ein guter Vater. Es wäre eine Schande, wenn die Mädels ohne dich aufwachsen müssten”, entgegnete Mickey.
Jonah sank auf seinen Stuhl zurück, seine Augen fixiert auf die Hand, die seinen Arm festhielt. Er konnte keinen Auftrag ausschlagen und hatte es auch nie versucht, aber das war einfach zu viel.
„Pietro kennt dich“, sagte Mickey. „Er vertraut dir. Und ich vertraue dir. Wir wissen beide, du wirst ihm bringen, was er braucht. Er hat dich direkt angefordert. Deinen Namen genannt. Er hält sehr viel von dir.”
Jonah bezweifelte das. Das letzte Mal, als sie zusammengearbeitet hatten, nannte Pietro ihn einen rückgratlosen Schoßhund. Und angesichts dessen, zu was er sich gleich bereiterklären würde, hatte Pietro wahrscheinlich recht.
„Tu mir diesen Gefallen“, sagte Mickey, „und deine Schuld ist getilgt. Du wirst frei sein und musst nie wieder einen Auftrag für mich erledigen.“
Jonah blickte auf, um Mickey direkt ins Gesicht zu blicken, trotz des ausgebeulten Auges und all den anderen Entstellungen.
„Ich gebe dir mein Wort“, sagte Mickey. „Und du kennst mich. Ich halte mich an mein Wort, oder nicht?“
„Das tust du”, erwiderte Jonah niedergeschlagen. Sein ganzer Körper sagte ihm, dass die Annahme dieses Auftrags ein Fehler war, doch er konnte sich die Chance, ein für alle Mal von Mickey wegzukommen, nicht entgehen lassen.
„Okay“, sagte Jonah. „Ich werde es tun.“
Ein Grinsen verbreitete sich auf Mickeys Gesicht. „Fantastisch! Hand drauf?“
Jonah nickte und ergriff Mickeys ausgestreckte Hand.
„Ich bin dir dankbar, Kumpel“, sagte Mickey. „Wirklich.“
Er drückte Jonahs Hand fester.
„Auf der anderen Seite, wenn du den Auftrag nicht erledigst oder beschließt, dass es besser für dich wäre, zu fliehen, werde ich meine Schulden eintreiben. Verstanden?“
Jonah schluckte und nickte.
„Ich habe dich nicht verstanden“, sagte Mickey.
„Ich verstehe“, antwortete Jonah.
„Gut“, sagte Mickey. Er ließ Jonahs Hand los und klapste ihm auf die Schulter. „Ich werde alle Details und die Fracht zu deinem Schiff schicken.“ Er trank sein Bier aus und entfernte sich vom Tisch.
Jonah sah mit an, wie er zur Bar hinüberging, drüber sprang und den Barkeeper zu einer blutigen Masse schlug. Mehrere der anderen Gäste taten so, als würde nichts passieren, doch Jonah sah es sich an. Er sah sich jeden brutalen Moment an.
Überzeugt, dass seine Nachricht verstanden worden war, stand Mickey auf, wusch seine Hände im Eiskübel und kletterte ohne ein Wort zu verlieren wieder über die Bar. Mit einem Pfeifen auf seinen Lippen schlenderte er durch den Ausgang.
Jonah, dessen Mund plötzlich trocken war, nahm noch einen Schluck Bier und entfernte sich vom Tisch. Langsam ging er zur Bar. Sein Magen verkrampfte. Er blickte hinüber.
Der Barkeeper lag in einer Pfütze aus Bier und anderen Flüssigkeiten. Sein Gesicht war ein blutiges Etwas und er würde wahrscheinlich Gesichtsrekonstruktion benötigen. Er ächzte und kauerte sich zusammen wie ein Fötus. Der Mann würde leben, doch er würde niemals vergessen, dass man Mickey „Gills” Black nicht verärgert.