Cassandra's Tears Episode 9



Unter dem Druck des Interspace verzerrten sich die Umrisse der P52. Alles verschwamm. Die Geräusche schwankten zwischen dem laut kreischenden Antrieb und absoluter Stille. Der Flügel auf Steuerbord wurde zusammengedrückt und riss ab. Immer wieder kam das Heck der Caterpillar in Sicht, nur um gleich darauf wieder zu verschwinden. Cal kämpfte mit dem Schiff darum, nicht von der Welle zu stürzen. Entweder er schaffte es oder es bedeutete sein Ende.

Das UEE Zollamt am Sprungpunkt aus dem Ferron-System in das Banu Protektorat war heute besonders stark ausgelastet. Der zuständige Zollbeamte starrte auf die Manifestation der Monotonie: eine lange Reihe von Schiffen, so weit das Auge blickte.

Er nahm sich einen Moment, um sich mit dem vor ihm liegenden Tag voller Langeweile anzufreunden und gab dann den Scanner für das erste Schiff frei. Er verglich die Kennungen des Schiffes mit den Einträgen in der Datenbank, während die Scanbots ihre Arbeit verrichteten.

Plötzlich fiel eine Caterpillar aus dem Sprungpunkt und taumelte in Richtung des Kontrollpunktes. Der Beamte warf einen beiläufigen Blick hinüber. Als er aber begriff, was er sah, erstarrte er.

Eine P52 fiel ebenfalls aus dem Interspace. Einer der Flügel war abgerissen. Die Nase war stark eingedrückt. Sauerstoff und verschiedene Flüssigkeiten leckten aus mehreren Hüllenbrüchen. Einer der Antriebe flackerte noch leicht. Der andere war dunkel.

Als der Beamte wieder zu sich kam, hämmerte er auf den Alarm.

Innerhalb von Minuten hatten die Polizei und SAR-Teams die P52 erreicht. Der Zollbeamte lauschte dem fieberhaften Gerede über das Comm. Irgendwer meinte, dass der Pilot zum UEE-Militär gehörte und wundersamerweise noch am Leben war.

Cal Mason erwachte auf einem Tisch. Einige Ärzte und Schwestern waren über ihn gebeugt, in ihre Arbeit vertieft und überrascht von seinem Erwachen.

„Wie lange war ich weg?“, fragte Cal und verschwendete nicht eine Minute. Der leitende Arzt begann zu stammeln. Die anderen Anwesenden tauschten verwirrte Blicke. Cal setzte sich auf. Sein kompletter Körper schmerzte. Er wuchtete sich vom Tisch herunter.

“Sir… Sir!” Eine der Schwestern versuchte, Cal auf den Tisch zurückzudrängen. Cal dachte jedoch nicht daran, sich zurückzulegen, als er sich zur Tür schleppte. Die Ärzte und Schwestern hasteten hinter ihrem launischen Patienten hinterher.

Cal bahnte sich seinen Weg durch noch mehr Ärzte, Wachen und etliche Zollbeamte, die sich versammelt hatten, um zu gaffen, und erreichte schließlich die Hangars und darin das Wrack der P52. Ein paar Mechaniker standen darum herum und staunten über dessen Zustand.

„Sag mal, hast du ein Omnitool dabei?“, fragte Cal einen der Mechaniker. Er starrte Cal völlig verblüfft an und hielt es ihm hin.

Cal kletterte auf die P52 und begann, ein Panel abzuschrauben.

“Lieutenant Mason?” Eine Stimme dröhnte vom Eingang des Hangars herüber. Cal ignorierte sie. Ohne Zweifel war die Phoenix schon längst wieder unterwegs und setzte ihre Pläne weiter um. Cal konnte sie immer noch einholen, aber sollten sie in ein anderes System springen, dann war es vorbei.

Wie die meisten Kurzstreckenjäger, war auch die P52 mit einem Peilsender ausgerüstet, der an das Mutterschiff gekoppelt war. Das machte es einfacher, sie wiederzufinden. Die meisten Piraten und Schmuggler deaktivierten diesen Sender. Was jedoch nicht viele wussten: Mit nur einer kleinen Veränderung war es möglich, das Signal umzukehren. Anstatt dass also die Constellation die P52 orten konnte, war es der P52 so möglich, die Fährte der Constellation aufzunehmen. Und Cal war einer der wenigen, die darüber Bescheid wussten.

„Lieutenant!“ Wieder diese Stimme, diesmal deutlich näher. Cal schaute auf. Ein Zollbeamter stand vor ihm und grinste ihn an. “Geht es Ihnen gut?”

“Klar, alles im grünen Bereich.”

„Vielleicht sollten Sie sich trotzdem von einem Arzt untersuchen lassen, nur zur Sicherheit.“

„Das würde ich ja liebend gerne, aber ich habe im Moment keine Zeit für sowas.“ Cal drehte die letzte Schaube heraus und entfernte den Sender. Wie erwartet war er deaktiviert, aber völlig intakt. „Ich gehe nicht davon aus, dass Sie ein Schiff für mich haben?“

Der Beamte drehte sich zu ein paar hereinstürmenden Polizisten um.

„Fragen Sie die da.“

30 lange Minuten intensiver Debatten später startete Cal endlich von der Zollstation. Er nutzte eine Cutlass, die gerade erst wegen Schmuggels beschlagnahmt worden war. Ein Dutzend verwirrter Polizisten und medizinisches Personal schaute zu, wie er im Sprungpunkt verschwand.

Diesmal war der Sprung in das Banu-Gebiet deutlich entspannter. Auf der anderen Seite verband Cal den Peilsender mit dem NavSystem. Während er darauf wartete, dass der Computer die Daten importiert hatte, konfigurierte er die Steuerhilfen. Scheinbar flog jedermann immer nur mit dem Autopilot. Ein Fakt, der ihn verwirrte und nervte.

Sein Radar zeigte ein Signal. Die Phoenix war also noch immer in diesem System. Sie war auf Queeg gelandet, dem dritten Planeten und gleichzeitig dem wirtschaftlichen und politischen Zentrum des Systems. Er war ein trockener Wüstenplanet, der von mächtigen Sandstürmen geplagt wurde. Je näher Cal dem Planeten kam, desto genauer zeigte das NavSystem die Position der Phoenix. Sie befand sich in einer der kleineren Siedlungen auf der dunklen Seite des Planeten. Es gab dort lediglich einige dutzend Hochhäuser, jedes schmal gebaut mit spitzen Winkeln, um den starken Stürmen nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten.

Cal ging in einem der äußeren Landeparks herunter. Er fand noch ein Atemgerät und einen Schutzanzug, die vom Vorbesitzer der Cutlass zurückgelassen wurden. Die starken Winde zerrten an ihm, als Cal das Schiff verließ.

Die Phoenix war recht einfach zu finden. Es waren kaum andere Constellations gelandet und die Crew hatte nicht einmal ansatzweise versucht, ihr Schiff zu verbergen. Cal konnte ein schwaches Licht im Cockpit erkennen, das aus den hinteren Bereichen des Schiffes kam. Es war also jemand an Bord. Cal fand ein Versteck und wartete.

Endlich kam Trunk heraus und verschloss das Schiff. Er schaute sich um, bevor er in Richtung der engen Gassen ging, die trotz des nahenden Sturms überfüllt waren, mit Banu, Menschen und Tevarin. Cal hielt einen sicheren Abstand. Vielleicht etwas zu sicher, denn einige Male ging ihm Trunk in der Menge fast verloren. Also schloss er etwas dichter auf.

Nach einer Weile stieg Trunk einige Stufen in den Keller eines Gebäudes herab. Der oberirdische Teil des Gebäudes war unterteilt in einzelne Einheiten. Jede davon war Flossen nachempfunden und auf drehbaren Plattformen gelagert, damit sich das Gebäude immer in den Wind drehen konnte. Die Fenster der ersten beiden Stockwerke waren verblendet. Zusätzlich machte es der fliegende Sand schwer, Genaueres zu erkennen, aber der Ort schien verlassen zu sein.

Cal wartete etwas, bevor er das Treppenhaus betrat, in dem Trunk gerade verschwunden war. Auf halbem Weg nach unten konnte er erkennen, dass die Treppe an einer Tür endete. Cal ging weiter die Stufen hinab und drückte die Klinke herunter. Die Tür war verschlossen.

Cal sah sich um, auf der Suche nach einem anderen Weg hinein. Im Spalt zwischen der Rotationsscheibe und dem oberen Gebäudeteil, etwa 15 Meter vor sich, entdeckte er diffuses Licht aus einem Lüftungsschacht oder Gitter herausscheinen.

Er quetschte sich in den Spalt und kroch in Richtung der Öffnung. Plötzlich wechselte der Wind die Richtung. Die Sensoren erweckten den Mechanismus zum Leben und das Gebäude über ihm begann, sich zu bewegen.

Schnell schlüpfte Cal in den engen Lüftungsschacht. Nachdem er durch Staub und Dreck gekrochen war, stieß er auf ein weiteres Gitter und dahinter auf einen dunklen Raum. Leise schlich Cal durch die verlassenen Hallen. In einiger Entfernung konnte er das Scheppern von Metall hören. Kurz darauf hörte er den Widerhall menschlicher Stimmen. Langsam näherte sich Cal den Geräuschen.

Er huschte um eine Ecke und vor ihm öffnete sich eine Halle, die einmal ein Hörsaal gewesen war. Mittlerweile war er zu einer Art Labor umgebaut worden. Verschiedene Computer und etliche leere Gehäuse standen um etwas herum, das mit einer Plane bedeckt war. In einem Loch im Boden verschwanden einige Kabel, die scheinbar das unterirdische Energienetz anzapften.

Trunk saß auf einer Kiste, nicht weit von Cal entfernt. Sasha betrachtete eines der verblichenen Banu-Banner, die an den Wänden vor sich hin rotteten. Mahony war bis zu den Ellbogen in einer der Maschinen verschwunden, die sie von Yar entwendet hatten.

Cal vermutete, dass er wohl doch falsch damit gelegen hatte, dass Mahony der Bordmechaniker war. Augenscheinlich war er eine Art Ingenieur… und ein bisschen durchgeknallt noch dazu. Er murmelte ununterbrochen vor sich hin, während er vorsichtig einen glatten Metallkanister aus dem Gerät entfernte. Was auch immer sich darin befand, es war entweder sehr wertvoll oder extrem gefährlich.

“Sie haben es nicht begriffen. Standen an der Schwelle einer Entdeckung, die das Antlitz der Menschheit für immer verändert könnte, und was haben sie getan? Was taten sie?! Sie haben das Projekt einfach eingestellt!“, wetterte Mahony, während er den Kanister zu einem der leeren Gehäuse brachte. Es war für Cal schwer zu erkennen, aber es sah aus, als befänden sich darin einige Grassoden. „Haben sie sich darum geschert, dass Männer und Frauen dem Projekt ihre Leben gewidmet haben? Nein. Stattdessen gab es ein Schulterklopfen, die Drohung ‚niemals das Maul aufzumachen‘ und zum Rauswurf einen Arschtritt.“

Mahony verband einige Kabel mit dem Kanister und murmelte weiter vor sich hin. Sasha kam langsam näher, um zuzusehen.

„Das ist nicht richtig. Es waren Leben. Und diese Bürokraten werden sich daran erinnern.“ Mahony verschloss das Gehäuse. Sasha nickte abwesend, sie war scheinbar weit weniger betroffen als er.

Mahony ging zu einem der Steuerfelder und wischte den Staub von der Konsole. Er schaute auf das Gehäuse mit dem Kanister und drückte einen Knopf. Für den Bruchteil einer Sekunde öffnete sich der Kanister. Sasha betrachtete das Geschehen gespannt. Doch für einige Momente sah es aus, als würde überhaupt nichts passieren.

„Ich dachte du-“ setzte sie an, doch Mahony unterbrach sie. Er wechselte seinen Blick immer wieder zwischen der Konsole und dem Behälter, zitternd vor Aufregung. Sasha drehte sich wieder zu dem Gehäuse. Und selbst Cal konnte es auf diese Entfernung noch erkennen.

Das Gras und die Erde begannen zu schmelzen. Innerhalb von Sekunden verwandelten sie sich in einen grauen Matsch. Doch dann begann das wirklich Erstaunliche: Die Masse begann, Gras und Boden wieder herzustellen. Als der Prozess abgeschlossen war, hatte das, was auch immer da in dem Kanister war, die Grassoden vollständig identisch rekonstruiert... mit der Ausnahme, dass das Gras jetzt violett war.

„Ich hab dir ja gesagt, dass es klappen würde. Großvater hatte Recht!“ Mahony hüpfte ausgelassen jubelnd herum, während Sasha sich vorbeugte um das Ergebnis genauer zu betrachten.

Mahony flitzte zu dem Gegenstand in der Mitte und riss die Plane herunter. Cals Herzschlag setzte für einen Moment aus.

Der Form, den Leitwerken und Sensoren nach zu urteilen, konnte kein Zweifel bestehen.

Das war eine Bombe.

Zur nächsten Episode geht es hier entlang.

Autor:  Dave Haddock   Übersetzung: alreadytaken   Korrektur: ius   Originaltext