A Separate Law: Episode 9

Gates hatte langsam genug von Nemo, oder zumindest von dem winzigen Fleck, in dem er und Seabrook untergetaucht waren. Ja, der Unterschlupf war spartanisch eingerichtet, aber das war zu erwarten. Seabrook war eine angenehme Mitbewohnerin, verbrachte allerdings die meiste Zeit im Netz, sobald sie es für sicher genug hielt. Damit blieben ihm nur noch Strollers Aussage und Morgans letzte Worte zur Ablenkung, und die halfen nicht viel, um seine wachsende Ungeduld einzudämmen. Gates konnte sich Morgans letzte Momente nur so oft anhören, ohne Stroller den Hals umdrehen zu wollen, und an den kam er nun natürlich nicht mehr ran. Gates hatte den Mann in die dunkelsten Zellen von Special Action verfrachten lassen, vorgesehen für Verräter, die auf ihren Prozess warteten.

Stroller hatte ihnen eine Menge verraten, bevor er abgeholt wurde. Für den nächsten Monat war ein Treffen geplant. Die Führung von Les Inconnus wollte die Bosse einiger neuer Sklavenhalter-Organisationen in ihre Reihen aufnehmen und hatte ein Treffen auf der White Stag anberaumt. Das stand alles in dem Bericht, zusammen mit Seabrooks Versicherung, dass sie Strollers Abwesenheit erfolgreich vertuscht hatte, indem sie Versetzungspapiere zu seiner Akte hinzufügte und seine Nachrichten mithilfe der Daten beantwortete, die er ihnen gegeben hatte.

Dieses Warten auf eine Antwort von Vasser macht mich wahnsinnig!

Es klopfte an der Eingangstür.

Gates zog seine Pistole und schaute zu Seabrook hinüber. Niemand sollte wissen, dass wir hier sind, geschweige denn, hier anklopfen. Sie tippte einen Befehl in ihr Terminal, was den Sicherheits-Feed aufrief. Sie nickte Gates zu. Da er nicht von der vertrauensvollen Sorte war, hielt er immer noch die Pistole bereit, als er die Tür öffnete. Er ließ sie fast fallen, als er sah, wer auf der Eingangstreppe stand.

„Gates“, sagte Vasser und drängte sich an ihm vorbei.

„Ma’am“, murmelte Gates, noch immer verblüfft.

„Seabrook.“

Gates schloss die Tür und versuchte seine Gedanken zu ordnen.

Vasser sah ihn an: „Schön zu sehen, dass Sie sich erholt haben.“

„Danke, Ma’am.“

„Leider ist dies das einzig Gute an meinem Besuch.“

Gates öffnete den Mund, aber sie hielt eine Hand auf, um ihn zu stoppen: „Sehen Sie, die Abteilung für interne Ermittlungen (Internal Investigations Division, IDD), in der Person eines gewissen Agenten Jakob Neustedt, hat mich letzte Woche aufgesucht, fast genau zu der Zeit, als Ihr Bericht auf meinem MobiGlas aufgetaucht ist.“ Sie hielt inne und präsentierte ihr MobyGlas, um zu zeigen, dass es aufzeichnete, und gab ihren beiden Agenten die Chance, über das Timing dieser Begebenheit nachzudenken, bevor sie fortfuhr: „Ich habe ihm gesagt, dass er sich zum Teufel scheren soll, dass die Ermittlung unter meinem direkten Befehl und meiner Aufsicht steht. Meine Mitarbeiter im Hauptquartier sagen, dass die IDD jetzt „treuhänderische Ungereimtheiten“ in der Special Action untersucht. Seabrooks Caterpillar haben sie als eine dieser Unregelmäßigkeiten angeführt.“

„Wie zum Teufel?“, platzte es aus Seabrook heraus.

Gates hielt seinen Mund; Wut baute sich in ihm auf, als er die Implikationen durchdachte.

Vasser schüttelte den Kopf. „Da ich diejenige war, die den Befehl gegeben hat, bin ich es Ihnen beiden schuldig, es Ihnen ins Gesicht zu sagen: Wir können nicht weiter gegen Les Inconnus vorgehen, solange dieser Mist abläuft. Sie haben ohne Zweifel Leute mit Einfluss auf der Gehaltsliste, und diese Leute werden unsere Ziele warnen, sobald wir losschlagen.“

„Verstanden“, antwortete Gates, bemüht seine Fassung zu halten.

Seabrook schüttelte den Kopf: „Jemand in der IID arbeitet für Les Inconnus und nun müssen wir unsere Ermittlungen abblasen?“

„Dass ein Advocacy-Agent für oder mit ihnen arbeitet, kann ich nicht beweisen, zumindest noch nicht. Deshalb führt Special Action keine Ermittlungen gegen Les Inconnus durch, bis ich das klären kann. Verstanden?“

„Verstanden“, wiederholte Gates und stieß einen langen, langsamen Atemzug aus.

„Was!?“, bellte Seabrook ihn an. „Du warst derjenige, der gesagt hat, dass wir zuschlagen, sie ausschalten müss–“

Er sprach über sie hinweg: „Ja, das habe ich gesagt.“ Gates deutete zu Vasser: „Der verantwortliche Special Agent hat uns gerade mitgeteilt, dass Special Action den Fall nicht mehr verfolgt.“

„Ich werde die Befehle befolgen ... aber ... es ist …“, stotterte Seabrook.

Gates drehte sich zu Vasser um und ließ seine Absätze zusammenklicken. „Danke, Agent Vasser, dass Sie uns persönlich informiert haben.“
Vasser nickte. „Gern geschehen. Es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten überbringen konnte.“

„Verstanden“, antwortete Gates und traf eine Entscheidung.

„Seabrook, ich habe einen Platz für Sie im Shuttle; es fliegt in fünf Stunden ab. In der Zwischenzeit muss ich mich um andere Dinge kümmern.“

Verstanden.

Seabrook schaute zwischen Vasser und Gates hin und her, offensichtlich verwirrt.

Vasser ging ohne ein weiteres Wort.

„Was zum Teufel, Gates?“

Er hielt einen Moment inne, bevor er antwortete, um die richtigen Worte zu finden. „Vasser sind die Hände gebunden, Seabrook. Sie musste den Befehl geben, die Ermittlung abzubrechen, und zwar offiziell. Vergiss nicht, ihr MobiGlas nahm auf. Ohne diese Aufnahme könnte sie die Verantwortung für das, was ich tun werde, nicht abstreiten.“

„Warte, was?“

„Denk darüber nach, was sie gesagt hat.“

„Sie sagte, wir–“

„Nein, hat sie nicht. Denk nach. Ihre genauen Worte waren…“

„Sie sagte–“ Ihre Augen weiteten sich. „Sie sagte Special Action.“

„Genau. Und ich bin suspendiert. Also nicht einmal Teil der Advocacy.“

„Aber das ist doch beschissen.“

Er schnaubte. „Wenn dir die Hitze so nah an der Sonne nicht gefällt, ändere deine Umlaufbahn.“

Seabrooks Augen verengten sich. „Was hast du vor, Gates?“

„Ich werde sie ausschalten, natürlich.“

„Nenn es, wie es ist, du hast vor, sie zu töten.“

Er blickte sie nur schief an.

„Ich bin nicht zur Advocacy gegangen, um Morde zu begehen. Wir stehen nicht über dem Gesetz.“

Gates nickte: „Du hast recht, wir stehen nicht darüber. Doch für diese Dinge gibt es ein eigenes Gesetz.“

Sie schniefte. „Gates, hörst du dir eigentlich manchmal selbst zu?“

„Seabrook, ich bin schon lange, lange Zeit dabei. Länger wahrscheinlich als die Leute, die du in der Akademie als Dinosaurier bezeichnet hast. Und eines, das ich von den Agenten gelernt habe, die ich damals als Dinosaurier bezeichnete, ist: Wir dürfen niemals zulassen, dass die Ermordung von Advocacy-Agenten ungesühnt bleibt. Niemals. Kein einziges Mal. Normalerweise bedeutet das, jemanden zu verhaften und in eine Gefängniszelle zu stecken. Manchmal bedeutet das, alles aufs Spiel zu setzen – auf sich allein gestellt ins Ungewisse gehen, vielleicht ohne Wiederkehr. Strollers Informationen geben uns eine Chance, deren Führung auszuschalten. Ich nehme sie wahr.“

„Das kannst du nicht machen, Gates.“

„Agent Max Nawabi. Agent Gage Knowles.“

Sie wurde bleich. Er war sich sicher, den Schock einer Ohrfeige hätte sie besser weggesteckt.

„Um sie geht es hier. Nawabi und Knowles, und darum, sicherzustellen, dass Les Inconnus nicht noch weitere Agenten tötet.“

Sie hob kapitulierend eine Hand: „In Ordnung. Ich habe verstanden. Ich werde nichts sagen.“

Er nickte. „Das hatte ich auch nicht erwartet.“

Sie wandte sich ab.

„Und Seabrook: Du gehörst zu den Guten.“

„Fick dich, Gates!“, sagte sie leise. Seabrook griff nach ihrer Konsole, beugte sich über den Tisch und begann zu tippen.

Gates zuckte mit den Schultern. Ich schätze, Schnuller gibt es in allen Formen und Größen.

„Tut mir leid“, murmelte sie. „Ich suche nur ein paar Dinge heraus, die dir vielleicht von Nutzen sein könnten.“

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Ich meine, ich weiß es zu schätzen, aber Vasser wird nicht glücklich sein, wenn sie nach ihrer Ansage deinen Arsch decken muss.“

Sie drehte sich um und warf ihm einen finsteren Blick zu. „Denkst du wirklich, dass ich so langsam bin? Dass ich nicht weiß, wie man sich im Netz bewegt, um ein paar Informationen einzuholen, ohne dass es zu uns zurückführt?“

„Tut mir leid“, antwortete er und meinte es so. „Das ist nicht mein Fachgebiet.“

„Ich weiß, es ist meins“, erwiderte sie und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

„Ich fange dann mal an zu packen.“

„Tu das.“

Als er ein paar Minuten später zurückkam, war sie fertig und auf dem Weg in ihr Zimmer. Sie sagte kein Wort. Trotzdem hörte er die Anschuldigung in ihrem Schweigen.

Er stellte sein Gepäck ab, setzte sich ins Wohnzimmer und holte sein MobiGlas heraus. Zeit, meine Leute nach Informationen graben zu lassen. Les Inconnus hat einen Fehler gemacht, als sie Vasser unter Druck gesetzt haben. Jetzt gibt es eine Chance, dass meine Leute von diesem Kontaktpunkt aus rückwärts arbeiten können. Wenn es ein Danach für mich gibt, wäre es hilfreich, zu wissen, an wen Neustedt seine Seele verkauft hat.

Angelique kann von ihrer Seite aus die Kontakte von Senator Yaldiz abarbeiten, um zu sehen, ob das Aufsichtsgremium des Senats für Advocacy-Angelegenheiten etwas mit dem Wissen anfangen kann, dass Neustedt mit Les Inconnus zusammenarbeitet.

Er schickte Angelique die Nachricht und begann im Kopf die Liste seiner anderen Kontakte durchzugehen. Er tippte Zaras Adresse ein. Mit ihren Verbindungen zu den Unternehmenslobbyisten könnte sie vielleicht auch auf etwas stoßen. Am besten zapfe ich sie auch an, da Stroller die von Seabrook aufgedeckte Verbindung zu Unternehmen bestätigt hat. Sie schuldet mir noch viel dafür, dass ich sie und ihre Firmenkunden im Holbrook-Fall aus den Nachrichten herausgehalten habe.
Er schickte gerade die letzte Nachricht, als Seabrook hinter ihm sprach: „Benutzt du immer noch die alten Protokolle?“

Gates schaute sie über seine Schulter an. Ihrem gezeichneten Blick nach zu urteilen, hatte sie über harte Entscheidungen und noch härtere Realitäten nachgedacht. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, ihr diese spezielle Tür zu öffnen. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass er das Gleiche durchmachen musste. Es waren keine angenehmen Erinnerungen.

Ihm wurde klar, dass er schon zu lange geschwiegen hatte. „Die funktionieren, soweit ich weiß?“, sagte Gates und wunderte sich, dass seine Antwort als Frage herauskam.

Seabrook lächelte: „Oh, es funktioniert ganz gut, wenn man genug Nachrichtenverkehr hat, um es darin zu verstecken.“

„Gut. Unsere frühere Unterhaltung hat mich beunruhigt.“

„Hätte ich gewusst, dass wir nicht zusammenarbeiten würden, hätte ich dir ein paar Tricks gezeigt.“

„Als Agent und Profi darin, Beobachtungen zu machen, hast du vielleicht bemerkt, dass ich ein alter Mann bin. Es fällt mir nicht leicht, neue Dinge zu lernen. Und jene, die versuchen, mich zu unterrichten, haben es ebenso schwer.“

Seabrook schnaubte und griff nach seinem MobiGlas: „Darf ich?“

Er reichte es ihr ohne großes Zögern.

Sie drückte einige Tasten und reichte es ihm dann zurück. Auf dem Bildschirm erschien ein Bild mit einer ID und einem Zugangscode. „Ich habe einen geheimen Account für dich eingerichtet. Schau in ein paar Tagen nach, es wird etwas für dich drin sein. Nenne es... Nenne es meinen Beitrag zur Sache.“

Weiter zu Episode 10