Gates wartete in der Unterwasser-Transitröhre, die Nemo Prime mit jenem Vorort verband, den Stroller sein Zuhause nannte. In Strollers Haus einzubrechen, war so kurzfristig eine zu harte Nuss, also hatten er und Seabrook beschlossen, ihn sich hier zu schnappen.
„Los.“
Gates konzentrierte sich und sprang über die Fahrbahn. Bei der Landung rutschte er auf dem glitschigen Wartungssteg aus. Er schaffte es gerade noch, seine Füße einzuziehen, bevor eine Transportkapsel vorbeisauste.
„Das war knapp“, meinte Seabrook.
„Ja“, knirschte Gates.
„Zwei Minuten.“
„Verstanden.”
Gates machte sich an die Arbeit. Zehn Jahre sickernden Schlamm zu beseitigen, war ein schmutziges Unterfangen, aber er musste sicher sein, dass die Module präzise platziert waren.
„Dreißig Sekunden.“
„Verstanden.“
„Zehn.“
Er platzierte das letzte Modul und sprang wieder zurück. Ein weiterer Ausrutscher ließ ihn an der Röhrenwand abprallen. Er taumelte; die Transportkapsel streifte beinahe seinen Rücken, als sie vorbeisurrte.
„Alles klar, alles ist an seinem Platz“, sagte Gates, die Hände fest um die Sprossen gepresst.
„In zwei Minuten geht‘s los.“
„Gehe runter.“ Gates stützte sich mit Händen und Füßen an der Außenseite der Leiter ab und ließ sich unterstützt von seinem Gewicht rapide herunterrutschen, wobei das Rückholseil aus dem Laufgurt an seinen Schultern herauszischte. An der nächsten Wartungsplattform blieb er stehen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die schwitzende Röhrenwand.
Das Problem, wenn man jemandem vom Navy-Geheimdienst an den Kragen möchte, überlegte Gates, ist, dass sie bereits zu einem gewissen Maß an gerechtfertigter Paranoia neigen. Besonders, wenn sie, wie in Strollers Fall, verräterischer Abschaum sind. Noch schwerer wird es, ihn gefangen zu nehmen. Es wäre bei weitem einfacher, Stroller einen Laserstrahl durch das Herz zu jagen, als ihn für ein Verhör am Leben zu erhalten.
„Scharf gemacht“, sagte Seabrook.
Die nächste Transportkapsel, die an den von Gates platzierten Magnetmodulen vorbeifuhr, entgleiste, verfehlte ihren Übergabepunkt und stürzte zehn Meter im freien Fall in den Wartungsschacht.
Die Sicherheitsmaßnahmen der Kapsel setzten ein, um sie so weit abzubremsen, dass die Passagiere überlebten. Gates sprang von der Wartungsplattform auf das Dach der noch immer abbremsenden Kapsel. Er bückte sich und riss die Notluke auf.
Schüsse hallten laut durch die Röhre; Geschosse prallten gegen Kapselrahmen und -luke. Dum-Dum-Geschosse. Vernünftig in einer unter Druck stehenden Umgebung, wo dreißig Meter Wasser über der Röhre ein winziges Loch zu einem gewaltigen Problem machen würden.
Gates grinste. Zuerst geschossen, was? Verdammt schnelle Reaktion. Er ließ eine Blendgranate in die Kapsel fallen und schlug die Luke wieder zu.
Die Granate explodierte in einer Reihe von desorientierenden Blitzen, begleitet von einem trällernden Schrei, der einem Tauben die Ohren hätte bluten lassen. Nach paar Sekunden öffnete Gates die Luke erneut. Als ihm keine Schüsse entgegenkamen, sprang er in die rauchgefüllte Kapsel und deaktivierte die Granate.
Er fand Stroller, der bereits im Begriff war, aufzustehen.
Gates schlug ihm auf seinen Plexus brachialis; seine elektrischen Handschuhe entluden sich.
Stroller ließ die Waffe fallen und stöhnte, steckte den Schlag aber weg und erwischte Gates‘ Brust mit seiner Faust.
Der Schlag tat nicht so sehr weh, als dass er überraschte. Stroller hätte mit dem ersten Schlag zu Boden gehen müssen.
Isolatoren.
Gates lächelte.
Soll mir recht sein.
Er riss ein Knie hoch in Richtung von Strollers Gesicht.
Der Verräter schwankte, stöhnte erneut, als das Knie auf seine obere Brust traf.
Als Stroller die Kraft des Schlags ausnutzte, um sich aufzurichten, erkannte Gates, dass sein Kontrahent größere Kampffertigkeiten besaß, als er angenommen hatte. Stroller war einige Zentimeter größer und einige Kilo schwerer als er, aber noch angeschlagen von der Granate.
Darauf bedacht seine begrenzten Vorteile auszunutzen, ließ Gates eine Kombination auf Stroller einprasseln und bedrängte ihn stark in dem begrenzten Raum der Kapsel.
Dem Verräter gelang es, Gates‘ Arm zu greifen und ihm einen Ellbogen in den Bizeps zu rammen.
Jetzt war Gates an der Reihe zu stöhnen. Ein nachfolgender Unterarm traf seinen Kopf, sodass er Sterne vor Augen sah.
Gates schwankte zurück und riss seinen fast schlaffen Arm frei, bevor er umkehrte und Stroller einen Kopfstoß ins Gesicht versetzte. Er fühlte Zähne unter seiner Stirn herausbrechen und wusste, dass Stroller bewusstlos war, noch bevor dieser zu Boden sackte.
Gates beugte sich hinunter und legte Stroller Fesseln an, während Blut von seiner Stirn auf dessen Jacke tropfte. Die wärmeaktivierten Memory-Metall-Fesseln dehnten sich schnell aus, umschlossen die Handgelenke des Mannes und pressten sie fest zusammen, bevor sie sich um seine Taille ausweiteten, um sich vorne zusammenzuschließen. Gates verband Strollers Fesseln mit seinem Gurt.
„Zwei Minuten.“
„Verstanden.“ Gates zog Stroller zu sich heran, stand auf und taumelte prompt zur Seite, als eine Welle des Schwindelgefühls drohte ihn zum Erbrechen zu bringen. Er hielt einen Moment inne und kam zum Schluss, dass er es verhindern könnte, wenn er sich seitlich bewegte. Vorsichtig schritt er zur Notluke.
Ich mag ein Dickkopf sein, aber verdammt, das mache ich nicht noch einmal. Gates schluckte die Galle hinunter, richtete sich auf und murmelte: „Hol uns raus.“
„Verstanden.“
Das Rückholseil straffte sich und begann sie einzuholen. Gates stieß sich die Schulter an der Luke und musste einen von Strollers abgebrochenen Schneidezähnen aus seiner Stirn ziehen, aber ansonsten verlief die Bergung reibungslos.