A Separate Law: Episode 7



„Können Sie mich verstehen?“

Gates legte die Liveübertragung von Seabrooks Iris-Kamera auf das Kommandoterminal. Als sich Seabrook aus dem Pilotensitz der Caterpillar erhob und auf den Weg zur Tür machte, wackelte die Ansicht und löste in ihm ein Schwindelgefühl aus.

„Ja, klar und deutlich.“

„Gut. Sind Sie bereit?“, fragte sie. Ihre Hand erschien auf dem Bildschirm, als sie nach der Schalttafel griff.

Während sie die Brücke verließ und auf die Luftschleuse zuging, dachte Gates einen Moment lang ernsthaft über die Frage nach. Die Operation war kurzfristig und mit nicht mehr als dem Mut und Verstand, den beide mitbrachten, zusammengeschustert worden. Das und die in die Jahre gekommene Avenger, welche Seabrook aufgespürt hatte.

Sie hatten zwei Dinge auf ihrer Seite, die den Plan durchführbar machten: Erstens, während sie noch immer nicht sicher waren, ob Morgan gegen seinen Willen festgehalten wurde, hatte Seabrook es geschafft, herauszufinden, wo er sich zumindest bis vor fünf Stunden aufgehalten hatte. Zweitens, aufgrund der Geheimhaltung von Les Inconnus schien es auf der Station keine großen Sicherheitsvorkehrungen zu geben.

„Gates?“, fragte sie, ihre Hand bereit, die Luftschleuse zu öffnen, welche von ihrem Schiff zur Station führte.

„Lassen Sie uns loslegen“, antwortete er.

„In Ordnung.“ Seabrook aktivierte die Schalttafel und verließ ihr Schiff.

Es würde einige Zeit dauern, bis sie den Kern der Station erreichte, also wandte sich Gates seinem Navigationscomputer zu. Er hatte die Avenger auf einen allmählichen Annäherungsvektor gesetzt, um die Station in etwa zehn Minuten zu erreichen und dann eine Serviceanfrage auszusenden. In der Zwischenzeit scannte Gates die derzeit angedockten Schiffe. Die Caterpillar, welche Seabrook als das Schiff identifizierte hatte, auf dem Morgan zur Station gebracht wurde, war immer noch dort. Die beiden anderen Schiffe schienen legitimen Kunden zu gehören, die zur Wartung, für Upgrades oder zur Deckung des Transportbedarfs der Station vor Ort waren.

Seabrook war diejenige gewesen, die die letzte Gruppe von Schiffen als ihre Deckung für den Weg hierher identifizierte: Sie hatte ein Manifest gefälscht, das angab, dass sie beauftragt worden war, einige Teile für Nemonautics zu transportieren und diese hier abzuholen. Gates hatte Bedenken, sich darauf zu verlassen, dass sie die Teile nicht versandbereit hatten, doch die Vertreter der Station schienen ihr die Geschichte abgekauft zu haben.

„Hallo“, sagte Seabrook und lenkte Gates‘ Aufmerksamkeit damit wieder auf sie.

„Captain Tolliver, es tut mir leid für die Verzögerung, aber wir hatten in letzter Zeit einige Probleme, Lieferungen zu erhalten.“

Die Ansicht schwankte leicht, als Seabrook mit den Schultern zuckte. „Solange ich den Vertrag einhalte und Sie einen Ort haben, wo ich mich ein wenig ausruhen kann.“

„Sicher, wir können Sie…“, der Rezeptionist tippte ein paar Befehle in seine Konsole, „…auf Deck dreizehn, Kabine acht unterbringen.“

„Danke. Ich bin es ein bisschen leid, immer die gleichen Schotten anzustarren, wenn Sie wissen, was ich meine...“

Vorsicht, er könnte anfangen zu glauben, Sie baggern ihn an, Seabrook. Operationen sind schon wegen weniger gescheitert...

Der Rezeptionist lächelte und deutete mit den Händen auf seine Umgebung: „Wem sagen Sie das.“

Erleichtert seufzte Gates, als Agent Seabrook den Aufzug betrat und auf der Schalttafel den Knopf für Deck dreizehn betätigte. „Übertragung noch da?“, fragte sie, nachdem sich die Tür geschlossen hatte.

„Ja, sie ist gut. Laut Ihren Daten haben wir vielleicht Glück gehabt. Ihr Zimmer befindet sich nur ein Deck unter dem von Morgan.“

Seabrook pfiff melodielos, als die Decks vorbeiflogen, ohne dass noch jemand in den Aufzug zustieg. Es schien, als hätten sie eine gute Wahl getroffen, als sie beschlossen, Morgan spät in der lokalen Nacht zu extrahieren. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf einen kurzen Flur frei. Das Zimmer, das ihr zugewiesen worden war, lag auf der rechten Seite, etwa auf halber Strecke. Sie trat ein, stellte ihre Tasche ab und begann ihren Fluganzug auszuziehen.

Sie zog die Kapuze ihres Kommandoanzuges hoch und hielt den Atem an, während sie die Maske in Position brachte. Sobald diese anfing, ihre Luft zu zirkulieren und ihre Wärmesignatur auf Umgebungswerte zu dämpfen, packte Seabrook ihr Hacking-Tool und eine kleine Pistole aus. Dann stopfte sie die leere Tasche in den Rucksack, der Teil des Anzugs war. Der Kommandoanzug würde ihr Bild auf den Kameras verzerren und die Hitzesensoren täuschen, aber sie nicht vor den Augen eines direkten Beobachters schützen.

Sie benutzte das Hacking-Tool, um die Türaufzeichnungen zu löschen und kehrte in den Flur zurück. Anstatt zum Aufzug zu gehen, machte sich Seabrook auf den Weg zum Notfallschacht und begann mit dem Hack der Schalttafel. Es dauerte etwas länger als bei der Tür zu ihrer Unterkunft, aber schließlich öffnete sich der Schacht. Die Notfallschächte waren darauf ausgelegt, sich leicht öffnen zu lassen, aber Seabrook wollte nicht, dass das automatische Fluchtprotokoll aktiviert wurde. Sie ging hinein und begann die Leiter hinaufzusteigen.

„Wie liegen wir in der Zeit?“, fragte sie und atmete unbeschwert.

„Gut. Ich kontaktiere in etwa zwei Minuten die Rezeption.“

„Ich dachte, er würde mich anbaggern.“

Gates grinste, froh, dass sie ihn nicht sehen konnte. „Ich auch. Gut, dass sie es professionell gehalten haben.“

„Männer. Mit diesem Ding unter dem Fluganzug ist meine Figur so gut wie gar nicht zu erkennen, und trotzdem wollt ihr mir an die Wäsche.“

„Hey, Sie werden mich nicht beim Gaffen erwischen.“

„Sie geben also zu, dass Sie es getan haben?“

„Ich gebe nichts zu.“

Seabrook gluckste und blieb stehen. Sie tippte einen Befehl in ihr Hacking-Tool. Dessen Live-Feed wurde zu Gates übertragen und ersetzte die Sicht ihrer Iris-Kamera. Der Flur außerhalb des Notfallschachts war nicht leer: Ein Mann mit Stiernacken – sein ganzes Wesen schrie Schlägertyp – stand an dessen Ende, direkt vor der Tür zu Morgans Raum.

Genau im Weg, dachte Gates, während Seabrook leise fluchte.

„Das ist nicht gut“, sagte Seabrook.

„Nein, ist es nicht. Ideen?“

„Hätte das Sicherheitssystem überprüfen sollen, bevor ich in den Schacht gestiegen bin, verdammt!“ Ihre Frustration war leise, aber dafür nicht weniger intensiv.

„Sie konnten nicht riskieren, aufzufliegen, bevor Sie direkt vor Ort sind. Irgendwelche neuen Ideen?“

„Scheiß drauf, ich mache es jetzt.“

„Es?“

„Ich hacke mich ein und übernehme das System. Ich schaffe den Kerl aus dem Weg. Seien Sie bereit, die Scherben aufzusammeln.“

„Sicher?“

„Gates, fragen mich nicht so was. Wollen Sie diesen Trottel oder nicht?“

„Sie kennen die Antwort.“

„Dann halten Sie die Klappe und lassen Sie mich arbeiten.“ Seabrook lehnte sich an die Wand des Schachts, löste die flexible Tastatur von ihrem Hacking-Tool und machte sich an die Arbeit.

Gates‘ Kommunikationssystem zeigte eine weitere eingehende Übertragung an. Er nahm den Anruf entgegen. „Vagra fünf-fünf…“, es dauerte einen Moment, bis Gates begriff, dass damit seine Avenger gemeint war, „…hier ist Servicestation Harmony Alpha. Ihr Kurs führt Sie zu uns. Benötigen Sie Service?“

Gates aktivierte das Mikrofon: „Servicestation Harmony, hier ist Vagra fünf-fünf. Mein Schiff muss gewartet werden, können Sie mir eine Liste Ihrer Dienstleistungen und Preise für eine Avenger senden?“

„Gerne.“

„Danke. Haben Sie ein freies Pad?“

„Ja, Sir, welchen Service benötigen Sie?“

„Ich liege ein paar Stunden über der Regelwartung meiner Antriebe.“

„Wie viele?“

„Ein paar Hundert.“

Ein fast unterdrücktes Schnauben: „Nur ein paar, was?“

„Das Geld ist im Moment knapp.“

„Nun, wir haben Angebote für jedes Budg–“

„Gates, ich bin drin“, überlagerte Seabrooks Übertragung den Serviceanruf.

„In Ordnung, ich war gerade dab–“

„Jaja, er wird Sie nicht zurückrufen, größere Probleme erscheinen gerade auf seinem Bildschirm. Ich gehe jetzt rein. Halten Sie sich bereit.“

„Verstanden.“ Gates drückte den Gashebel nach vorn.

In der Liveübertragung holte Seabrook tief Luft und drückte eine letzte Taste. Die Notsirenen der Station begannen zu heulen, ohrenbetäubend sogar durch die Lautsprecher.

In der Sicherheitskamera drehte sich der Schläger zur Tür, die zu Morgans Raum führte.

Seabrook öffnete die Notklappe und stürzte sich auf den Mann. Sie war schnell an ihm dran. Ihre Schläge trafen seine Schulter, seinen Arm und seinen Rücken. Der Kommandoanzug entlud sich bei jedem Schlag mit einem dumpfen Knacken. Nach dem zweiten Schlag sackte der Schläger bewusstlos zu Boden. Der dritte war entweder eine Vorsichtsmaßnahme oder fehlende Kontrolle; so oder so, Gates war einverstanden.

Sie öffnete die Tür.

Morgan stand, nackt und mit verschlafenen Augen, inmitten eines kleinen, unmöblierten Raumes, der zweifellos wie eine Gefängniszelle aussah.

Erleichterung durchflutete Gates, was ihn überraschte. Mir war wohl nicht bewusst, wie sehr ich den Gedanken hasste, dass er mich verraten haben könnte.

„Morgan, Sie wollen raus?“, fragte Seabrook.

„Zum Teufel, ja!“

„Dann mir nach.“ Sie drehte sie sich um und machte sich auf zum Notfallschacht.

„Wohin geht‘s?“, fragte er, während er ihr folgte.

„Raus.“

„Raus!? Ich bin nicht mal angezogen!“

„Das habe ich bemerkt, aber das Letzte, was Sie jetzt brauchen, sind Kleider.“

„Ach nein?“

Sie zog die Klappe auf. „Die Rettungskapseln sind nicht sehr groß.“

„Verdammt“, sagte er und drehte sich zu Seabrook um, dann zurück zum Notfallschacht.

Irgendetwas hustete mehrere Male in schneller Folge. Ein rotes Loch erschien in Morgans Brustkorb. Rot bespritzte die Innenseite des Schachts hinter ihm.

Seabrook grunzte, drehte sich, hob ihre Pistole und feuerte mehrere Schüsse in den Gang. Gates sah die offene Fahrstuhltür und darin zwei Schläger; einer von ihnen hielt einen Karabiner.

Beide gingen in Deckung. Seabrook schubste Morgan durch die offene Klappe des Schachts und sah zu, wie er automatisch von einer Rettungskapsel umschlossen wurde. Morgan, der die Kapsel mit Blut verschmierte, schoss aus dem Blickfeld, als ihn diese in Sicherheit brachte.

Mehr mechanisches Husten hinter Seabrook. Sie taumelte gegen die Klappe und stöhnte: „Verdammt, das tut weh.“

Die Erkenntnis traf Gates: Die Schläger benutzen Dum-Dum-Geschosse, um keine Löcher in die Hülle zu schießen. Prasseln ganz schön auf sie ein, aber der Kommandoanzug sollte halten.

Sie vergalt Gleiches mit Gleichem und trieb sie mit mehreren Schüssen zurück in die Deckung, trat dann in den Notfallschacht und knallte die Klappe zu. Die Rettungskapsel aktivierte sich und umgab sie sofort.

Gates bremste ab, sah, wie Morgans Kapsel aus der Station schoss und änderte den Kurs, um ihn zu abzuholen. Dann baute er eine Kommunikationsverbindung auf: „Morgan?“

Ein Husten, diesmal ein feuchtes, organisches. Dann: „Sieh dir das an, ich blute.“ Noch ein Husten. „Gates. Ich hätte wissen müssen, dass du es bist. Tut mir leid, ich habe nicht viel Zeit, also hör zu. Commander Gilles Stroller, Marinegeheimdienst. Er ist der Maulwurf. Operiert von Nemo aus. Ich habe die Adresse für dich ... schnapp ihn dir... zahl es ihm heim...“

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