Portfolio: Talon

Vor dem Zweiten Tevarin-Krieg war die Raumfahrt ein ganz anderes Unterfangen als heute. Viele zivile Schiffe erkundeten bedenkenlos das Unbekannte ohne Waffen und zogen es stattdessen vor, zusätzliche Mengen an Wasser, Nahrung, Sauerstoff und Komponenten zu laden. Die Bewaffnung privater Schiffe war legal, erforderte jedoch ein strenges Genehmigungsverfahren. Schiffswaffen galten als Nischenprodukt, das hauptsächlich für Militär und Sicherheitskräfte bestimmt war; manche zivilen Raumschiffe verfügten nicht einmal über Waffenhalterungen.

Während des siebenjährigen Konflikts verteilte der tevarinische Kriegsherr Corath'Thal jedoch schwer bewaffnete und mit starken Schilden versehene Schiffe strategisch, um so eine deutlich schnellere und beweglichere Flotte zu erschaffen. Diese Einheiten waren in der Lage, die Menschheit an allen Fronten anzugreifen und zu verschwinden, bevor die Verantwortlichen bewaffneten Widerstand organisieren konnten. Da das Militär und die lokalen Milizen dünn gesät waren, musste die Bevölkerung ihre Schiffe zum persönlichen Schutz bewaffnen. Unglücklicherweise waren die zivilen Standardwaffen dieser Zeit den mächtigen Phalanx-Schilden der Tevarin nicht gewachsen. Größere und schlagkräftigere Waffen waren notwendig, und Taisei „Talon“ Jessop hatte einen Plan und die Möglichkeit, die Bevölkerung zu ihrem eigenen Schutz besser zu bewaffnen.

Schutzmaßnahmen

Die Familie des im Jahr 2535 geborenen Taisei Jessop war tief im Croshaw-System verwurzelt. Im Laufe des vorigen Jahrhunderts hatten die Jessops durch Handel, Bergbau und Bautätigkeit ein riesiges Vermögen angehäuft. Von Landeplatz-Hangars bis hin zu Rastplätzen und Tankstellen war es beinahe unmöglich, Croshaw während des 25. Jahrhunderts zu besuchen, ohne Geschäfte mit mindestens einem Unternehmen zu machen, an dem die Familie beteiligt war. Doch als Taisei Jessop volljährig wurde, hatte eine Kombination aus Fehlinvestitionen und Verschwendung den größten Teil des Familienvermögens aufgezehrt. Croshaws Elite scherzte sogar, dass das Wertvollste, was die Familie noch besaß, ihr angesehener Name sei.

Jessop war fest entschlossen, das Schicksal seiner Familie umzukehren. Er stieg 2579 zum CEO des Unternehmens auf, nachdem er einen Vorstands-Coup inszeniert hatte, der den Abgang  seiner Cousine Polima erzwang. Sein Gelöbnis, das Familienvermögen zurückzugewinnen, scheiterte jedoch zunächst, da sein kontrollierender Führungsstil Innovationen erstickte und Startups davon überzeugte, sein Investitionskapital zu meiden. Dennoch erwarb er sich schnell den Ruf, leidenschaftlich und intelligent zu sein. Dies brachte Jessop den Spitznamen „Talon“ (Fänge) ein, weil er Aufgaben beharrlich anpackte. Wie ein ehemaliger Geschäftspartner sagte: „Sobald Talon einmal etwas in seinen Fängen hatte, ließ er nie wieder los.”

Jessops Führung erwies sich als moderater Erfolg – genug, um ihn an der Macht zu halten, aber nicht, um die Familie zu ihrem früheren Ruhm zurückzuführen. Dann, im Jahr 2603, brach der Zweite Tevarin-Krieg aus. Der normale Handel des Imperiums kam zum Erliegen und zwang Jessop, sich nach Investitionen außerhalb von Croshaw umzusehen. Während einer dieser Reisen wurde sein Konvoi von tevarinischen Truppen angegriffen. Jessop überlebte nur knapp, nachdem die ballistischen Kanonen seines Schiffes überhitzten. Einzig eine gut platzierte Rakete, die sein Sicherheitsteam abfeuerte, rettete die Lage. Nach seiner Rückkehr sorgte Jessop dafür, dass die Schiffe seiner Familie, Freunde und Vertrauten ordentlich bewaffnet waren. Die damit verbundenen Kosten und Mühen wiesen ihm den Weg zu einer Geschäftsgelegenheit.

Da die meisten Unternehmen nach Regierungsaufträgen im Zusammenhang mit den Kriegsanstrengungen strebten, konzentrierte sich Jessop darauf, der Öffentlichkeit ein Mittel zum Eigenschutz zu bieten. Nachdem er feststellte, dass „Kanonen verdammt noch mal zu kompliziert sind“, beschloss er, Raketen und Torpedos herzustellen. Als Anspielung auf seinen Spitznamen nannte Jessop das Unternehmen Talon. Und seinem Ruf entsprechend ließ es nicht mehr los, sobald es seine Fänge im Markt für Schiffsmunition versenkt hatte.

Die Früchte der Krise nutzen

Die Bewaffnung der Zivilbevölkerung mit verheerender Feuerkraft erwies sich während des Zweiten Tevarin-Krieges als erfolgreich. Jessop plünderte die Familienkasse und nutzte seine weitreichenden Geschäftsverbindungen, um die richtige Finanzierung, Betriebsanlagen und  – in einer Zeit strenger Rationierung von größter Bedeutung – eine stetige Versorgung zu sichern. Während zahllose andere zu dieser Zeit ähnliche Geschäfte gründeten, besaß Jessop die nötigen Mittel, um das Seine zu verwirklichen und zu einem dauerhaften Erfolg zu führen.

Im Rahmen einer besonders erfolgreichen Marketingkampagne wurden Raketengestelle verschenkt und kostenlos installiert, wenn genügend Munition gekauft wurde, um diese zu füllen. Talon-Händler missachteten das beschwerliche UEE-Genehmigungsverfahren und rieten den Kunden sogar, sich an das Unternehmen zu wenden, wenn ein Regierungsvertreter sie wegen der Installation belästigte. Mitglieder des Vorstands befürchteten, dass diese Vorgehensweise zu einer Auseinandersetzung mit der Regierung der UEE führen könnte. Wie sich herausstellte, war dies genau das, was Jessop wollte.

Die UEE wandte ihre Aufmerksamkeit Talon erst zu, nachdem sie den Zweiten Tevarin-Krieg gewonnen hatte. Denn während des Krieges erwies sich eine gut bewaffnete Bevölkerung als hilfreiche und einfache Lösung, die nach dem Krieg jedoch erheblich an Attraktivität nachließ. Als die Regierung schließlich eine Untersuchung gegen Talon einleitete, war Jessop in der Lage, eine Phalanx von Anwälten zum Schutz des Unternehmens zusammen mit einem gut vorbereiteten Team für Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren, das sich auf die Tatsache stützte, dass Talon während des Krieges unzählige Zivilistenleben gerettet hatte. Dies löste eine heftige Debatte über die Rolle der UEE im Bereich der persönlichen Sicherheit aus, in welcher der Name Talon im Mittelpunkt stand. Jahrelang prahlte Jessop damit, dass diese kostenfreie Werbung das Beste gewesen sei, dass der Marke je wiederfahren ist. Es schadete natürlich nicht, dass die Raketen und Torpedos von Talon den Ruf hatten, sowohl schlagkräftig als auch zuverlässig zu sein.

Schließlich lockerte die UEE ihre Vorschriften und erlaubte jedem System, seine eigenen Standards zu setzen. Es folgte ein Deregulierungswettlauf, als die Systeme erkannten, dass zu strikte Gesetze einen Teil des Handelsverkehrs abschreckten und für deren Durchsetzung viel Personal erforderlich war. Es dauerte nicht lange, bis Schiffe mit schweren Geschützen im ganzen Imperium der Standard und nicht die Ausnahme waren.

Heute gibt es nur wenige Piloten, die nicht mit Talons Produktpalette bestehend aus Raketen, Torpedos, Munitionsgestellen und Granaten vertraut sind. Der Ruf des Unternehmens, zuverlässige Munition in Militärqualität für die Öffentlichkeit herzustellen, ist nach wie vor unbeschadet. Trotzdem spaltet Jessops Rolle bei der Gründung des Unternehmens immer noch die Meinungen vieler. Einige Historiker halten Jessop für einen heldenhaften Freiheitskämpfer, während andere sein Vermächtnis als das eines gierigen Kriegsgewinnlers beschreiben. Trotz dieser Kluft sind sich alle in einer Sache einig – wenn etwas fliegen kann, dann gibt es auch eine Talon, die es in der Luft zerfetzt.