Observist Lifestyle: Iso-Piloten



Sei gegrüßt, Reisender! Obwohl seine Sehenswürdigkeiten und Geschichten unglaublich beeindruckend sind, haben wir auf unseren vielen Reisen immer wieder festgestellt, dass es in Wahrheit die Vielfalt seiner Seelen ist, die unser gewaltiges Universum so einzigartig macht. Deshalb will unser Team von OBSERVIST LIFESTYLE hier einen direkten Blick auf die unzähligen Menschen und Kulturen bieten, die diese einzigartige Mischung in unserem Imperium und darüber hinaus ausmachen.

Zwar ist das Reisen aus purem Vergnügen eine der größten Freuden des Lebens, dennoch werden die meisten Reisen im Imperium aus kommerziellen Gründen angegangen. Gewaltige Schiffe durchziehen den Raum und transportieren Milliarden von Frachttonnen von Stadt zu Stadt, Planet zu Planet und System zu System, dorthin, wo sie am meisten benötigt werden. Aber was ist, wenn die benötigten Güter diese Riesenschiffe selbst sind?

Die meisten normal großen Schiffe können wie jede andere Ladung in einem Frachter transportiert oder von einem Schlepper gezogen werden. Aber bei den größeren Schiffsklassen, wie der MISC Endeavor oder der RSI Orion, ist der einzige Weg, sie von den Werften des Herstellers zum Kunden zu bringen, sie selbst zu dorthin zu fliegen. Ein Schiff von A nach B zu bringen, klingt schon nach einer richtigen Jobbeschreibung, wenn man die ganzen üblichen Stolpersteine bedenkt, die jeder interstellare Flug mit sich bringen kann. Das Problem dabei ist, wenn jemand das Geld für ein brandneues Schiff ausgibt, will er, dass dieses auch im Neuzustand bei ihm ankommt. Wie sich gezeigt hat, ist dieser Teil ist nicht so einfach.

Schauen wir jetzt den hart arbeitenden Männer und Frauen des Seven-League Vehicle Delivery Services bei ihrem unkonventionellen Leben über die Schulter, wenn sie Schiffe so fliegen, als ob diese nie geflogen worden wären.

Eine eigene Liga

“Das erste, was jeder macht, wenn er erfährt, wie wir Schiffe überführen, ist ein Vorschlag zur Vereinfachung.“ Ich sitze gegenüber von Tohata Ersdil in einem kleinen, vollgestopften Büro in Odyssa, dass mit verstaubten Schiffshandbüchern der letzten 50 Jahre, gefährlich hoch gestapelten Datapads und dickem, wabernden Zigarrenrauch ausgefüllt ist. „Glauben Sie mir: Wir haben bereits daran gedacht und es ausprobiert. Das Iso-System läuft bei uns, weil es nicht nur funktioniert, sondern auch günstig ist.“

Tahota, Eigentümer und Gründer von Seven-League Delivery, war so freundlich, mir das „Iso-System“ ausführlich zu erklären, das er vor über 50 Jahren entwickelt hat und das seitdem von vielen Schiffsüberführungsfirmen übernommen worden ist. „Iso“, kurz für isoliert, bezeichnet die Methode, bei der ein einzelner Pilot mit der Aufgabe betreut wird, einen dieser Giganten für die interstellare Auslieferung zu fliegen. „Wissen Sie, die meisten Leuten meinen, um einen von denen auszuliefern, müsste man bloß eine Mannschaft anheuern, um ihn dann wohin auch immer zu fliegen. Das läuft aber aus zwei Gründen nicht: Das Hauptproblem ist, dass eine Crew Geld kostet.“ Um die Ausgaben für mehrere Crewmitglieder bei der Auslieferung zu decken, muss entweder der Hersteller oder der Kunde mehr für die Überführung bezahlen. Das hat letztendlich dazu geführt, dass die Lieferfirmen mit einem Preiskampf um die niedrigsten Angebote begannen und so die Überführungsmannschaften ein immer geringeres Entgelt bekamen, da die Bezahlung unter ihnen aufgeteilt werden musste.

“Das zweite Problem mit einer Besatzung ist – egal wie vorsichtig du bist – mit so vielen Leuten an Bord wirst du Spuren hinterlassen. Diese Leute müssen essen, schlafen und auf die Toilette gehen. Tun sie das an Bord und machen dann eine Komplettreinigung nach der Ankunft? Schickst du ein Begleitschiff mit und die Leute wechseln hin und her? Oh, und da wir gerade von Begleitung reden, wir haben noch gar nicht über Sicherheitsmaßnahmen geredet.“

Als Tahota die Tücken der Schiffsauslieferung beschrieb, wurde schnell klar, dass das das richtige Verhältnis von Zeitaufwand und Kosten schwierig zu treffen war. Natürlich umgehen einige Hersteller, Verkäufer und Versicherungen das Problem, indem sie dem Käufer einfach ein Flugticket schicken und ihm damit den Transport selbst überlassen – oder wie manche Billig-Versicherer, die die Logistik komplett auf die Käufer abwälzen. Dennoch schätzen viele Kunden die Annehmlichkeit, dass ihr neu erworbenes Schiff an sie ausgeliefert wird. Nach Jahrzehnten des Ausprobierens scheinen sich drei hauptsächliche Systeme bei den Überführungs-Unternehmen durchgesetzt zu haben: Iso, Trio und Etappe.

Das Trio-System besteht aus einem Dreierteam, bei dem eine Person das auszuliefernde Schiff fliegt, eine das Begleitschiff steuert und eine sich ausruht. Um das zu überführende Schiff in makellosem Zustand zu erhalten, trägt der Pilot dauerhaft einen hermetisch dichten Komplettanzug, dabei sind alle Biofunktionen strikt auf das Begleitschiff beschränkt. Im Trio zu fliegen, wird als das gemäßigtste System empfunden. „Trios sind schön, weil du einen frischen Piloten hast und das Begleitschiff da ist, wenn etwas schiefgeht“, erläutert Tahoto, „aber die Gewinnspanne für ein Trio ist mager. Die extra Besatzung und der Begleittreibstoff nagen schnell am Gewinn. Ich bin eine Zeit lang Trio geflogen, als ich mit dem Job begonnen hatte, aber wenn ich nicht unterwegs war, konnte ich mir kaum ein Plätzchen zum Schlafen und Essen leisten. Gar nicht daran zu denken, etwas auf die Seite zu legen. Du musstest ständig auf Achse sein, denn wenn nicht, hättest du hungern müssen. Das war hart.“

Die nächste Methode, Etappe, bezieht sich auf die in Etappen aufgeteilte Lieferstrecke, wobei verschiedene Piloten jeweils eine Etappe zwischen zwei Raumhäfen erledigen und dort das Schiff an den nächsten übergeben. Das hat den Vorteil, dass jeder Pilot nur eine kurze Distanz zu überbrücken hat. Obwohl die Piloten dabei normalerweise weniger Bezahlung pro Auslieferung erhalten, können sie das ausgleichen, wenn es einen ständigen Strom von auszuliefernden Schiffen hin und her gibt. „Etappe wird in den stärker bevölkerten Systemen viel mehr benutzt“, meint Tahato, „aber mit diesen ganzen zusätzlichen Beteiligten und dem Landen und Starten passieren deutlich mehr Unfälle – von Kleinigkeiten wie Kerben und Dellen bis hin zu einem besoffenen Aurora-Piloten, der in dich hineinkracht. Dass der Raum um Tankstationen ein beliebtes Jagdgebiet ist, weil die Gesetzlosen wissen, dass dort die Schiffe hinkommen, will ich gar nicht erwähnen. Etappe funktioniert ganz gut und die Versicherungen scheinen es zu bevorzugen, aber die Hersteller tendieren zu Iso, weil es das Beste ist, um das Schiff wie neu an den Zielort zu bringen.“

Beim Iso-System, auf das sich Seven-League spezialisiert hat, fliegt ein einzelner Pilot die gesamte Strecke ohne einen einzigen Zwischenstopp. Mit dieser Methode verdienen der Pilot und die Überführungsfirma am meisten, allerdings gelten die Touren als aufreibend und schwierig. Natürlich musste ich selbst ausprobieren, wie schwierig das tatsächlich ist.

Solo Plus Einer

Tahato arrangierte für mich die Möglichkeit, einen der am längsten für Seven-League fliegenden Piloten, Daniel Dente, auf einem Iso-Trip zu begleiten. Bei der Ankunft am Dock in der oberen Atmosphäre von Crusader begrüßt mich der glänzende Rumpf eines brandneuen, frisch aus der Fabrik gekommenen Genesis-Starliners. Mit seinen knapp 100 Metern Länge und Breite, soll der kolossale Kreuzer im Auftrag einer auf Sightseeing-Touren spezialisierten Firma von Seven-League nach Cassel ausgeliefert werden. Das Schiffsinnere ist verschwenderisch luxuriös ausgestattet, aber alle Annehmlichkeiten werden mir bei meinem Aufenthalt an Bord verboten sein.

Daniel begrüßt mich im Laderaum, wo er den Vorrat an Quantum-Treibstoff gewissenhaft überprüft. Einer der zentralen Punkte beim Iso-Flug ist es, Zwischenstopps an Tankstationen zu vermeiden. Diese sind nicht nur ein Sicherheitsrisiko, weil sie Gesetzlose anziehen, sondern auch weil jedes Andocken die Gefahr von Unfällen birgt. Aus diesem Grund werden Daniel und ich den Starliner selbst mittels EVA-Einsätzen nachtanken. „Wir haben genau so viel, wie wir brauchen, und nur ein kleines bisschen Notfallreserve. Weil wir ihn selber transportieren, bedeutet zusätzlicher Treibstoff eben auch mehr Ladung und damit zusätzlichen Verbrauch. Es gibt da einige Berechnungsformeln und Hilfestellungen, mit denen wir das alles genau kalkulieren können“, erläutert mir Daniel durch seinen Helm.

Wie ich steckt Daniel bereits komplett im Schutzanzug und wird bis zum Ende der Reise in diesem eingeschlossen sein. Vor dem Boarding habe ich ein Nutra-Paket bekommen, das meine Nährstoffzufuhr sicherstellen wird. Dazu kommt ein hochwirksamer Cocktail von Schlaferstatzstoffen und Stimulatoren, die gewährleisten, dass ich über die komplette Liefertour wach bleiben werde. Daniel versichert mir, dass die Übelkeit bald vorübergehen wird. „Am schlimmsten ist es am Anfang – und am Ende, wenn die Wirkung nachlässt“, meint Daniel, „aber es ermöglicht uns den Trip in einem Zug ohne Pausen durchzuziehen, und das ist schneller und sicherer. Natürlich kannst du die Medikamente nur für ein paar Wochen nehmen, bevor die wirklich schlimmen Nebenwirkungen einsetzen. Funktioniert aber ganz gut. Ich mache immer ein paar Wochen und nehme dann einen Monat oder so frei, bin bei der Familie, bevor ich wieder rausgehe.“

Offensichtlich weiß Daniel gar nicht, was er mit mir anfangen soll. Nach 15 Jahren bei Seven-League hat er sich an das alleine Fliegen gewöhnt. Als wir Crusader hinter uns lassen, singt er vor sich hin, bis er abrupt aufhört, als er sich an meine Anwesenheit erinnert. „Meine Kinder ermahnen mich immer, wenn ich vor mich her singe oder Selbstgespräche führe. Es macht sie wahnsinnig“, erzählt er mir. Ich frage Daniel, wie er sich beschäftigt. „Die Firma erlaubt uns keine Videos oder private Kommunikation während wir fliegen. Aus Sicherheitsgründen und so. Also sind es größtenteils Musik und Hörbeiträge. Die Leute sind oft beeindruckt, wie gut ich belesen bin und ich antworte dann immer, sie müssten mal versuchen eine Woche wach zu bleiben. Aber ganz ehrlich: Die meiste Zeit konzentriere ich mich auf’s Fliegen“, erklärt Daniel. „Diese größeren Schiffe haben normalerweise mehrere Leute, die alles überwachen. Aber ich muss alles alleine im Blick behalten. Das ist aber nicht so schlimm, wenn man alle nicht-essentiellen Systeme abschaltet. Trotzdem genügt es, um einen beschäftigt zu halten.“ Nicht einmal die Lebenserhaltungssysteme des Schiffes sind aktiv und die einzigen Lichter an Bord, sind die im Cockpit. Für Sauerstoff und Licht sorgen – wieder einmal – unsere Anzüge. Später während des Fluges, als wir einen Koppler an der Maschine überprüfen mussten, empfand ich den Weg durch den finsteren Rumpf des Schiffes als äußerst unheimlich. Selbst in Daniels Begleitung fühlte ich mich sehr alleine.

Der Blick aus dem Fenster bringt auch keine Verbesserung, da die Route, die Daniel gewählt hat, einen weiten Bogen um jede Sehenswürdigkeit schlägt. Da wir ohne Begleitschutz fliegen, müssen wir dem Kontakt mit anderen Schiffen möglichst aus dem Weg gehen. Auch wenn die meisten Schiffe, denen man begegnet, keine Gefahr darstellen, ist es dennoch sicherer, nichts zu riskieren. Der gefährlichste Teil unserer Reise war unsere Ankunft an einem Sprungpunkt.

Als wir uns dem Stanton-Terra-Sprung langsam nähern, ist Daniel äußerst wachsam: Bevor wir dort herankommen, scannt er vorsichtig nach jedweden Radarsignaturen. Wir warten auf den Durchzug eines ArcCorp-Frachters, bevor wir selber einfliegen. Ich würde den anderen Piloten gerne anfunken, nur um etwas zu Plaudern. „Das verstehe ich“, meint Daniel, als ich ihm von meinem Impuls erzähle. „Ich war immer ein bisschen introvertiert, so hat mich das Alleinsein nicht so getroffen, aber selbst ich bekomme manchmal Zustände. Besonders wenn nichts schiefläuft. Es ist schon komisch: Die glattesten Touren sind oft die mental schwierigsten. Manchmal mache ich Aufzeichnungen für meine Familie oder ich kann einen offenen Kanal einschalten und anderen Leuten zuhören. Das hilft ein bisschen.“ Als ich frage, ob es nicht möglich wäre, Gäste auf den Touren mitzunehmen, erfahre ich, dass die Versicherungskosten dann zu hoch wären, als das es sich noch lohnen würde.

Als wir das erste Mal nachtanken mussten, war es für mich die Nagelprobe, ob ich das Zeug für den Job eines Iso-Piloten mitbringen würde. Die relative Sicherheit des Schiffes ins offene All zu verlassen und dabei zu wissen, dass, wenn irgendetwas passieren würde, wir komplett von jeder Radarüberwachung abgeschnitten waren, erwies sich als zu viel mich. Mein Puls steigerte sich noch über das eh schon durch die Stimulatoren erhöhte Niveau und beendete meinen Weltraumausflug, bevor er begonnen hatte. Daniel bestand darauf, dass ich an Bord blieb und so schaute ich ihm nur dabei zu, wie er das Schiff alleine nachtankte.

Ich hätte gerne gesagt, dass der restliche Flug besser geworden wäre. Dass ich schließlich doch nochmal rausgegangen und selbst ein Nachtanken erledigt hätte oder vielleicht, dass mir Daniel einmal das Steuer übergeben hätte. Aber in Wahrheit wurde nach dieser ersten Panikattacke alles nur noch schlimmer. Ich war in meinem Kopf gefangen. Daniel erzählte mir, er habe das schon zuvor gesehen: „Nicht jeder kann diesen Job machen. Ist einfach so. Man muss sich dafür nicht schämen.“ Trotz all dem bin ich stolz, dass ich den ganzen Weg bis ins Goss-System durchgehalten habe. Ich mag zwar nicht das Zeug zu einem Iso-Piloten haben, aber immerhin habe ich den Trip bis zum Ende mitgemacht.

Bis zu meinem Lebensende werde ich mich an die Erleichterung erinnern, die ich beim Aufsetzen auf Cassel empfand und ich endlich meinen Helm abnehmen konnte. Das Gefühl von Freiheit war überwältigend. Dass es diese hunderte von Männern und Frauen gibt, die davon leben, auf diese Weise die Leere des Alls zu durchqueren, damit andere Leute ein brandneues und makelloses Schiff bekommen, ist wieder mal ein Beispiel dafür, wie viele Dinge jeden Tag geschehen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Letztendlich war es eine erfolgreiche Tour, aber nicht Dank mir. Als wir uns verabschiedeten, entschuldigte ich mich dafür, dass ich keine große Hilfe gewesen war. Daniel zuckte nur mit den Schultern und sagte einfach: „Ich bin es gewohnt, es alleine zu machen.“

Übersetzung:  korasani   Korrektur:  Malu23   Originaltext