Das Signal, Autor: ius
Der Raum war dunkel und still, als die auf Tiefenraumforschung spezialisierte Kommandogruppe des Forschungskorps Auriga als erste der übrigen Gruppen aus dem Hyperraum fiel. Seit Wochen, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, waren sie unterwegs gewesen, nur einem leisen Signal folgend.
Geplagt von dem stumpfen und monotonen Sausen der Sprungantriebe ihrer Schiffe waren die Besatzungen froh, endlich Stille um sich herum zu fühlen. Dennoch, diese Stille war... erdrückend. Jeder fühlte es. Es war ein Leichtes, dies den vielsagenden Blicken der Schiffsbesatzungen zu entnehmen.
Das Signal, dem sie gefolgt waren, woher es kam oder was es war, das wusste niemand. Nicht einmal der ansonsten gut eingeweihte und immer mit einer Idee ausgerüstete Korpsleiter Madwag konnte sich darauf einen Reim machen. Aber wie sollte er auch. Selbst die Sensorspezialisten und Tiefenraumanalysten des United Empire of Earth mit ihrer stationären und teuren Hochtechnologie waren nicht in der Lage gewesen, das Signal zu entschlüsseln. So wurde der Auftrag, die Herkunft des Signals aufzuklären, von höchster imperialer Stelle ausgeschrieben. Nicht viele Organisationen waren dazu in der Lage, im Tiefenraum eine solche Mission wahrzunehmen. Und das Empire interessierte sich nicht dafür, in der derzeitig politisch und wirtschaftlich angespannten Lage selbst ein Kosten verschlingendes Expeditionskorps auszusenden. Es war dankbar, als eine wirtschaftsstarke und gut ausgebaute Organisation namens „Das Kartell“ sich anbot, den Auftrag zu übernehmen. Mangels gleich qualifizierter Mitbewerber erhielt „Das Kartell“ den Auftrag und vergab ihn wie es üblich war nach internen Verteilungsplänen. Der Auftrag wurde dem Forschungskorps Auriga zugeteilt. Wirklich begeistert darüber war dort zunächst niemand. Ein Signal. Gut. Es gab viele Signale aus dem weiten Raum. Und nicht alle waren lohnenswert, erforscht zu werden. Es war nicht einfach, Tiefenraumforschung zu betreiben. Zu speziell waren die Anforderungen dafür und für einen Fehlschlag wollte niemand die Verantwortung übernehmen.
Eines war dem Signal aber eigen: Es verursachte auf eine unbeschreibliche Art und Weise bei jedem, der es zu verstehen versuchte, ein Gefühl der Angst. Es war beklemmend. Das Muster, das es zeigte, war fremdartiger als alles, was je eine Antenne der Menschheit aufgefangen hatte.
Und nun waren sie hier. Im Nichts. Der für die Sensorarrays des Korpsführungsschiffes Ikarus, dem neusten Modell der Aquila-Klasse, zuständige Offizier ImiN bestätigte: Sie waren an der Quelle des Signals angekommen.
Das nichtidentifizierte Objekt lag vor ihnen. Es war groß und düster, tausende Meter lang. Ein verrücktes Wirrwarr aus schwarzen Säulen und Spitzen, jede einzelne größer als ein Schiff der Constellation-Klasse. Zackige Auswüchse, schwärzer als alles, was je ein Menschenauge gesehen hatte, ragten in unregelmäßigen Abständen aus dem Objekt. Es war nicht zu erkennen, ob es sich dabei um Waffen, um Sensoren oder sonst etwas gänzlich Unbekanntes handelte. Und da war noch etwas: Es war übersät mir Kratern, riesigen gleichförmigen Einschlagskratern. Korpsleiter Madwag zuckte unmerklich zusammen. Was zur Hölle war in der Lage, dem Objekt solche gigantischen Einschlagskrater, die aussahen, als ob eine unglaublich große Waffe sie dort hineingeschossen hätte, zu verpassen?
Lange Zeit sprach niemand auf der Kommandobrücke der Ikarus. Der Kommandeur der Geleitgruppe, ius, brach die Stille. „Korpsleiter Madwag?“ Madwag fuhr herum, runzelte die Stirn und nickte dem Geleitkommandeur zu.
„Hier spricht ius, Geleitschiffe: Leiten Sie unverzüglich die Sicherungsprozedur Alpha ein. Schilde aktivieren und Position zwischen unbekanntem Objekt und Korps einnehmen. Kein Scan, kein Ping.“
Das Korps brach in einer fließenden Bewegung aus seiner Sprungformation und formierte sich neu. Bergungsschiffe, Forschungsschiffe und Geleitschiffe taten das, was sie seit Jahren routiniert taten. Das war ihre Stärke. Sie waren schon seit jeher in ihren Missionen allein unterwegs. Sie hatten nur sich und sie wussten, sie konnten sich aufeinander verlassen. Es gab keinen Einzelgänger, es gab nur sie.
Nachdem die Standardformation für die Annäherung an unbekannte Objekte abgeschlossen war, gab Korpsleiter Madwag die Anweisung, mit der Sicherheitsanalyse des Objektes zu beginnen.
Das war ius' Sache. Die Sicherheit des Korps stand an oberster Stelle, immer. Und auch dieses mal würde nichts die Mission gefährden. An Board der Ikarus befand sich neben Korpsleiter Madwag auch Kommandeur Sarev, ein bärtiger und rauer Spezialist für Bergung. Es war selbstverständlich, dass Madwag und Sarev den Kommandeur der Sicherheit bei seiner Aufgabe unterstützen würden.
Während die anderen Geleitschiffe in einem seitlich versetzten Bogen zur Ikarus Position bezogen, näherte sich die Ikarus dem Objekt. Ius gab den Befehl, das Objekt zu scannen. Zwei Pings wurden ausgesandt. Standardprozedur. Das „Hallo“ des Korps. Doch weder lieferten die Scans brauchbare Resultate noch antwortete das fremde Objekt. Seine dumpfen schwarzen Flächen und Strukturen schienen die Scans und Pings eher zu absorbieren, als sie zu reflektieren. Keines der ausgesandten Signale drang zu ihnen zurück. Ius ignorierte die erschreckten Blicke seiner Kommunikationsoffiziere. Er hatte schon Beeindruckenderes gesehen. Korpsleiter Madwag brummte irgendetwas Unverständliches, ging zum Sensorarray und überprüfte die Scans erneut. Nichts. Es war, als ob das Objekt einfach nicht da wäre. Nur das Signal selbst, dem sie gefolgt waren, sandte unbeirrt sein unheimliches Frequenzmuster in den Raum.
Sarev grinste, denn ihm war klar, dass es hier sicherlich nur brauchbare Informationen gab, wenn sie das Objekt von innen untersuchen würden. Das kannte er, das war sein Gebiet.
Die Kommandeure und der Korpsleiter waren sich einig: Sie würden das Objekt betreten und auf Gefahren, ob absichtliche oder unabsichtliche, untersuchen müssen, bevor auch nur ein Wissenschaftler seinen Fuß in das Objekt setzen durfte. Sie konnten es sich nicht leisten, hier draußen, in der Stille des ewigen Raumes, weit abseits dessen, was Abenteurer noch ihre Spielwiese nannten, auch nur einen Mann oder eine Frau zu verlieren.
„Kommandeur ius, beginnen Sie mit dem Andockprozess“, brummte Madwag missmutig. Der Korpsleiter hatte gehofft, eine kurze und sichere Mission erfüllen zu können. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, dachte er mürrisch, „aber sie stirbt eben.“
Mit einem kurzen Nicken bedeutete ius seiner Systemoffizierin, Cozzmo, verantwortlich für die Subsysteme des Schiffes, die Scheinwerfer der Ikarus zu aktivieren.
Wie ein dürrer Finger aus gleißendem Licht tastete sich ein Lichtstrahl von der Ikarus zu dem unbekannten Objekt. Es war erstaunlich, wie wenig der hochgezüchtete Scheinwerfer der Sicht auf das Objekt verhelfen konnte. Es schien erneut, als schlucke die Oberfläche des Objektes alles, was sie ihm entgegenwarfen.
„Korpsleiter Madwag!“, presste der für die Sensorarrays zuständige Offizier ImiN durch geschlossene Zähne: „Als wir unseren Scheinwerfer aktiviert haben, hat sich innerhalb von wenigen Sekundenbruchteilen die Frequenz und das Muster des ausgestrahlten Signals verändert. Sie stieg kurzzeitig an und brach schließlich ganz ab. Jetzt ist da draußen nur noch Totenstille.“
„Totenstille!“, dachte ius zynisch. Besser hätte man es nicht beschreiben können. In der Tat gellte die Stille förmlich in den Ohren. Es war irgendwie falsch, alles schrie danach, diesen unseligen Ort zu verlassen.
Allen an Board der Ikarus war mittlerweile klar, dies war keine gewöhnliche Mission. Diese hier war anders. Etwas schwebte wie eine dunkle Vorahnung durch die Gedanken der Schiffsbesatzung und spiegelte sich in ihren besorgten Gesichtern wieder.
„Kommandeur ius, ich habe eine Art Zentrum des Objektes lokalisiert, basierend auf visueller Beobachtung!“, rief ImiN plötzlich, sichtlich erregt. „Annähern!“, befahl ius kühl.
Die Ikarus näherte sich der beschriebenen Stelle. Dort befanden sich auf dem Objekt Säulen und Spitzen, angeordnet in einer Art Kreis um etwas, dessen Form überhaupt keinen Sinn ergab. Allein der Versuch, dieser Form einen Namen zu geben, diesen in sich verschlungenen und genauso oft nicht verschlungenen Mustern und verrückten Strukturen zu folgen, erzeugte Kopfschmerzen. Es war beunruhigend, Dinge die zusammenhielten und doch nicht zusammen halten sollten. Derart Fremdartiges war noch keinem Mitglied des Forschungskorps Auriga begegnet.
„Es ist ein unbekanntes Schiff, eine völlig neue und fremde Spezies, nicht wahr?“, murmelte Kommandeur Sarev leise. Sein Optimismus war verflogen. Auch Madwag fiel die blanke Angst in den Köpfen seiner Brückencrew auf. Sie sprang ihm förmlich in den Rücken. Doch er konnte seinen Blick nicht von dem fremden Objekt nehmen. Irgendetwas flüsterte ihnen seit Abbruch des Signals ständig zu. Es war nicht verständlich, anfangs unhörbar, aber es wurde stetig lauter. Es kam von dem Objekt. Und es machte ihnen allen Angst.
Madwag kniff die Augen zu, um mehr erkennen zu können. „Kommandeur ius, sehen Sie in der Mitte des Kreises auch eine Art Dreieck?“, fragte Madwag. „Könnte schwören, das war eben noch nicht da!“, brummte ius. Sarev nickte zustimmend.
„Flugoffizier gossip, steuern Sie das Schiff zur Mitte des Kreises, Abstand 500 Meter, langsame Bewegung“, wies ius seinen zuverlässigen und erfahrenen Flugoffizier an. „Jawohl Kommandeur!“, gab Flugoffizier gossip zurück und setzte das Schiff in Bewegung. Er manövrierte das Schiff zur befohlenen Stelle, bis es sich im richtigen Abstand vor der Mitte des Kreises befand.
„Hier ius: Geleitschiffe, wir docken an das Objekt an. Ihr werdet Eure Position halten. Nichts darf sich unidentifiziert dem Objekt nähern und außer uns darf nichts das Objekt verlassen.“ „Zu Befehl!“, rauschte es aus den Lautsprechern der Ikarus.